Dienstag, 30. Oktober 1990

Mick Goodrick Trio: Akzentuiert zurückgenommen

Die Zapfanlage hatte keinen Druck, der Kaffee für die Musiker war ausgegangen und nur wenig mehr als 20 Leute hörten zu: Die Rahmenbedingungen des Jazzkonzerts von Mick Goodrick, Harvey Swartz und Gary Chaffee am Sonntagabend im »Jazzclub in der Mitte« waren schlecht. Musikalisch bot der Abend, den der Hauptveranstalter Tobias Festl aus organisatorischen Gründen nicht in den eigenen Räumen hatte anbieten können, wieder einmal Hervorragendes.
Gitarrist Mick Goodrick, der Anfang der siebziger Jahre im Quartett des Vibraphonisten Gary Burton spielte, kam mit einer High-Tech-Gitarre mit extrem kurzem Hals in die »Mitte«, Bassist Harvey Swartz hatte ein ebenso futuristisches Instrument dabei: Das Corpus war ein langgezogener Pyramidenstumpf, der Ton elektrisch verstärkt und im Klang einem normalen Kontrabaß ähnlich, nur etwas druckvoller. Der Bostoner Perkussionist Gary Chaffee spielte auf einem akustischen Schlagzeug. Er war Ende der sechziger Jahre als Lehrer an der Western Illinois University und hat zum Beispiel mit Bill Frisell, Pat Metheny und Jaco Pastorius gespielt.

Gary Chaffee hat ein vierbändiges Lehrbuch für Schlagzeug geschrieben, »Patterns« heißt es. Daß er ein sehr kompetenter Autor ist, zeigte sich in der »Mitte«. Absolut lässig schlug er vertrackte Rhythmusmuster über einem stets pulsierenden, manchmal sehr schwarz groovenden Beat, spielte wie seine Mitmusiker sparsam und setzte Verzierungen effektvoll ein. Mit verhältnismäßig wenig Einzelinstrumenten seines Schlagzeugsets erreichte Chaffee eine enorme Klangfülle und -vielfalt und war dabei auch dynamisch immer spannungsreich.
Ähnlich Harvey Swartz, der früher mal Klavier spielte: Er begeisterte die wenigen Jazzfans mit nuancenreichem Spiel, konnte in leisen Passagen durch fein differenzierte Tongebung genauso überzeugen, wie er treibende Jazzfunk-Linien sehr energiereich und ausdrucksstark aus dem Verstärker schallen ließ. Ob bei Jazzstandards, modernem Material oder rhythmisch spannender schwarzer Musik: Stets war das Spiel von Swartz ausdrucksvoll und erinnerte manchmal in der Phrasierung schon fast an menschliche Singstimmen.
»Weniger ist mehr«, muß sich auch Mick Goodrick gesagt haben. Er spielte sparsam, musikalisch absolut überzeugend und verzichtete auf die Demonstration seiner enormen technischen Fähigkeiten zugunsten eines akzentuierten Spiels, das immer auf seine Kollegen Rücksicht nahm.
Keiner der drei hatte Geprotze mit den eigenen Fähigkeiten nötig, zusammen überzeugten die Musiker, weil sie aufeinander hörten. Der Uralt-Standard »My Funny Valentine« zum Beispiel geriet durch die geballte Improvisationskunst des Trios zu einem sehr spannen-
den Musikstück. Ein tolles Konzert! (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...