Margot Varell ist eine moderne Frau, Kreativ-Direktorin in einer Werbeagentur, »high-professional«, wie sie selber sagt, voller Karriere-Energie und immer auf dem Sprung zu neuen großen Taten und Kampagnen. Pech, dass sie ausgerechnet in dem Moment von ihrem Chef Charly schwanger wird, als sie die Filiale in Mailand mit aufbauen soll. Karriere und Kind gehen nicht zusammen — eine Leihmutter muss her!
Zur Eröffnung der sechsten Reutlinger Kleinkunsttage bekamen die zahlreichen Zuschauer im »Rappen«-Keller von der Schauspielerin Gilla Cremer spitz und witzig formulierte Kabarettkost vorgesetzt, deren Thema ziemlich schwer verdaulich war. Bei der neunzigminütigen »Odyssee Embryonale« unter der Regie von Max Eipp ging es um »Leihmutter-leid und Leihmutterfreud« — so der Untertitel des bitterbösen satirischen Solotheaterstücks.
Die vor Spielfreude schier berstende Akteurin spielte da nicht nur die überdrehte und gelegentlich auch völlig chaotische Werbetante Varell, sondern auch den Liebhaber-Chef Charly, die spanische Putzhilfe Franziska, die Mutter Margots, den Embryonenbank-Eigner Professor Hallogen und dessen Sekretärin. Gilla Cremer wechselte all diese Rollen blitzschnell und gestaltete die Personen immer glaubhaft, weil sie kleinste Details in Mimik, sprachlichem und körperlichem Ausdruck beachtete.
»Da kann man heute die ganze Welt in einer Sekunde in die Luft jagen und muss eine halbe Stunde auf das Ergebnis des Schwangerschaftstests warten« — Madame Varell ist ungeduldig, weil »high professional«. Zeit ist Geld, gerade in der Werbung. Charlie ist noch higher professionell und hat überhaupt gar keine Zeit. Von seinem Vaterglück erfährt er erst sehr spät: Erst, als der Embryo längst wieder aus der geliehenen Gebärmutter Franziskas raus (der Leihmutter wurde das vom Schwangerschaftshonorar gekaufte grüne Kleid zu eng) und im eisigen Stickstoff der Embryonenbank drin ist. Erst, nachdem durch die etwas peinliche Unordnung bei Professor Hallogen aus dem einen Sohn durch versehentliches Klonen im Forschungslabor derer neun geworden sind…
»Das ist doch nur von Vorteil, wenn der Kleine so früh mit Altersgenossen zusammen ist«, sagt sich Margot und fühlt sich ihrer spanischen Seele ganz nah. Nicht nur wegen den Sahnepuddings und dem neunzigprozentigen Schnaps, mit denen Franziska die Margot tröstet, wenn sie vor lauter Professionalität mal wieder ganz high im Hirn ist. Nein, nein: »Zwei Frauen ex-schwanger vom selben Kind, das verbindet schon«.
So eine Leihschwangerschaft ist schon anstrengend: Nachts träumt Margot von einem kleinen Wesen, das hilflos auf einer Eisscholle treibt, tagsüber hat sie Probleme mit Tiefkühlkost. Aber eigentlich hat sie »die Geschichte ganz gut auf die Reihe gekriegt«, und wenn »einem mal was passiert, können die anderen acht Söhne ja Organe spenden«.
Satire ist, wenn einem das Lachen im Hals steckenbleibt — die meisten Besucher im »Rappen« kamen vor lauter Amüsement über die knallenden Pointen und unverschämten Sprüche wohl erst nach der Vorstellung zum Nachdenken über das seelenlose Geschäft mit geliehenen Bäuchen, manipulierten Genen und gespendeten Samen. Gilla Cremer bekam für ihr präzises, engagiertes und packendes Spiel den verdienten langen Applaus.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 22. Oktober 1990
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