Fast so etwas wie ein Wunder: Trotz strömenden Regens und viel zu kühler Witterung fiel das »AfroBrasil 97«-Festival auf dem Tübinger Marktplatz nicht ins Wasser. Im Gegenteil: Die Stimmung unter den aufgespannten Regenschirmen war am Samstagnachmittag durchweg erstaunlich gut - und spät abends, als der Top-Act »E o Tchan« die Trommeln sprechen liess, gab's zumindest unter den Brasilianern im Publikum fast kein Halten mehr: Pure Begeisterung stand in vielen Gesichtern, hemmungsloses Tanzvergnügen war angesagt.
In musikalischer Hinsicht bot die zehnköpfige »Supergruppe« mit ihrem recht konventionellen Party-Sound keine Überraschung — und die mit derben sexuellen Anspielungen gespickte Show überschritt öfters die Grenzen des guten Geschmacks.
Daniela Mercury lieferte dagegen eine Show, mit der sie jedem internationalen Anspruch genügt. Die Sängerin hat im Vergleich zu ihrem ersten Tübinger Auftritt vor Jahren an gesanglicher und darstellerischer Reife noch zugelegt: Wer ihre ausgefeilte, perfektionistische Vorstellung auf dem Marktplatz gesehen hat, versteht, warum Mercury von Broadway-Producern die Musical-Rolle der berühmten brasilianischen Sängerin Carmen Miranda für 25 Millionen Dollar angeboten wurde.
Daniela lehnte ab und präsentiert lieber ihr eigenes Ding: »Feijao com Arroz« ist ein bis ins letzte Detail ausgefeiltes, wirbelnd schnelles Spektakel, das ganz besonders auch wegen der hervorragend und präzise umgesetzten, schwierigen Choreographie überzeugt.
Schade, dass nicht Mercury, sondern die nachfolgenden »E o Tchan« in den Genuss eines optisch von Pit Eitle und Friedrich Förster »umgebauten« Marktplatzes kamen: Die Tübinger Lichtkünstler gaben den Hausfassaden mit Hilfe riesiger Diaprojektoren ein neues Aussehen — und ernteten viele respektvoll staunende Blicke für ihre Präzisionsarbeit.
Selbst nach dem hitzigen Taumel auf dem Marktplatz bis Mitternacht hatten viele noch nicht genug: Gut 1 000 Brasil-Fans festeten im Foyer noch bis in den frühen Morgen hinein weiter — mit antreibender Live-Tanzmusik von Carlos Pitta, der dort noch einmal seine schnelle »Forrö«-Musik spielte: Schon auf dem Marktplatz hatte er als allererster die Fans schnell in Stimmung gebracht.
Gilberto Gil Superstar: Der erneute Tübinger Auftritt des Übervaters der »Musica Popular Brasileira« überstrahlte am Sonntag das sowieso schon hervorragende Musikprogramm: Ungebremster Jubel herrschte da unter seinen Landsleuten. Celina Peireira von den Kapverden bildete mit einer musikhistorisch fundierten Vorstellung weiter und gefiel mit ihrem warmen, ausdrucksvollen Alt.
Die Japaner von »The Boom« — ihre Fans hatten sie gleich mit eingeflogen — liessen es mit einer sehr ungewöhnlichen Mischung aus traditioneller japanischer Musik, Funk, Samba und prügelhartem Metal krachen. (-mpg)
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Montag, 7. Juli 1997
Dienstag, 4. Juli 1995
Youssou N'Dour: In Trance
Gut für eine Gänsehaut: Am Sonntagabend wiegten sich mehr als 3 000 Besucher auf dem Tübinger Marktplatz zur Musik Youssou N'Dours in Trance. Die begeisterten Zuhörer des »Viva AfroBrasil '95« Abschlußkonzerts erlebten eine musikalische Sternstunde — und waren selbst mit dran schuld: Wie ein gut eingeübter Chor sang das Publikum mit dem charismatischen .»Super etoile de Dakar«, dem senegalesischen Superstar Afrikas, der spätestens seit Mitte der 80er auch in der westlichen Musikszene einen exzellenten Ruf besitzt.
Zu Recht: Der 36jährige, äußerst konzentriert und in sich ruhend wirkende N'Dour war der »Super etoile de Tübingen«, der mit seiner Musik, vor allem aber mit seiner zwingenden Bühnenausstrahlung alle in seinen Bann zog — und selbst seine zwölf Mitmusiker und Tänzer schauten die meiste Zeit wie hypnotisiert zu ihrem Chef.
Und das Tübinger Publikum fraß dem überaus begnadeten Sänger geradezu aus der Hand, tanzte bei schnellen »Highlife«-und »Mbalax«-Stücken, wiegte sich in poetischeren, getrageneren Konzertabschnitten in sanften Schwüngen — und setzte sich, als der begeisternd gute Leadgitarrist Jimi Mbaye eine leise Solo-Geschichte erzählen wollte, sogar bereitwillig und eilig hin.
Ein ganz besonderes Konzertereignis also, selbst im verwöhnten Tübingen.
Dabei hatte der Auftritt zu Beginn unter keinem guten Stern gestanden: Wegen tontechnischen Problemen verzögerte sich das Konzert um eine knappe Stunde — und dann war der Sound auf dem Marktplatz anfangs ziemlich mies. Vom SDR-Tontechniker, der im Ü-Wagen das Konzert für eine spätere Übertragung in SDR 3 mitschnitt, war zu erfahren, daß die Afrikaner normalerweise ohne die hierzulande üblichen Bühnen-Monitore arbeiten. So schmälerten in der ersten halben Stunde heftige Rückkopplungen und Übertragungsprobleme den Konzertgenuß.
Aber als Youssou den rhythmisch hinreißend verschobenen Titelsong »Dem« von seiner aktuellen Erfolgs-Platte »The Guide« anstimmte, waren solche Unzulänglichkeiten längst unwichtig geworden. Und selbst bei einem von der Band etwas verwaschen intonierten »7 Seconds« — das ist der 94er Mega-Hit von Youssou — störte sich niemand daran, daß Background-Sängerin Miriam Betty, sozusagen Live-Ersatz für Neneh Cherry, die auf der CD singt, heftigst daneben lag: Die Fans sangen richtig!
Geradezu überschwappend die Begeisterung, als Youssou mit verschmitztem Lächeln »a new friend« ankündigte: Gilberto Gil kam bestens gelaunt und von Jubel umtost nochmal auf die Bühne. Nach seinem hervorragenden Konzert hatte der überaus bescheidene Superstar und Übervater der »Musica Popular Brasilieira« hinter der Bühne mit den »Zoo«-Leuten gescherzt und mit Fans geplaudert — und stieg dann bestens aufgelegt mit einer akustischen Gitarre bei den Senegalesen mit ein.
Die Improvisationen N'Dours, seines Gitarristen und dem vokal-perkussionistisch auftrumpfenden Gil waren traumhafte Konzertmomente: Da schälte sich aus einem »Mbajax«-Groove ein Samba heraus, wurde zum sanft tuckernden Reggae verschoben. Das war lebendige, kein bisschen aufgesetzte, vielmehr originäre »Weltmusik« im positivsten Sinn. Manche Zuhörer hatten Tränen in den Augen vor Musik-Glück.
Klar, daß die »Zugabe«-Rufe nach 90 Minuten mit der markant-hellen »schönsten Stimme Afrikas« nicht enden wollten. Selbst Zoo-Chef Winfried Kast, der wegen ordnungsamtlichen Auflagen zunehmend öfter auf die Uhr blicken musste, schaute mit glitzernden Augen ziemlich begeistert drein.
Den Bob-Dylan-Klassiker »Chimes Of Freedom« gab Youssou N'Dour, während die Lichtregie äusserst geschmackvoll blaue und lila Lichtmuster über den Marktplatz tanzen liessen, um kurz nach halb elf als Zugabe. Einfach magisch! (mpg)
Zu Recht: Der 36jährige, äußerst konzentriert und in sich ruhend wirkende N'Dour war der »Super etoile de Tübingen«, der mit seiner Musik, vor allem aber mit seiner zwingenden Bühnenausstrahlung alle in seinen Bann zog — und selbst seine zwölf Mitmusiker und Tänzer schauten die meiste Zeit wie hypnotisiert zu ihrem Chef.
Und das Tübinger Publikum fraß dem überaus begnadeten Sänger geradezu aus der Hand, tanzte bei schnellen »Highlife«-und »Mbalax«-Stücken, wiegte sich in poetischeren, getrageneren Konzertabschnitten in sanften Schwüngen — und setzte sich, als der begeisternd gute Leadgitarrist Jimi Mbaye eine leise Solo-Geschichte erzählen wollte, sogar bereitwillig und eilig hin.
Ein ganz besonderes Konzertereignis also, selbst im verwöhnten Tübingen.
Dabei hatte der Auftritt zu Beginn unter keinem guten Stern gestanden: Wegen tontechnischen Problemen verzögerte sich das Konzert um eine knappe Stunde — und dann war der Sound auf dem Marktplatz anfangs ziemlich mies. Vom SDR-Tontechniker, der im Ü-Wagen das Konzert für eine spätere Übertragung in SDR 3 mitschnitt, war zu erfahren, daß die Afrikaner normalerweise ohne die hierzulande üblichen Bühnen-Monitore arbeiten. So schmälerten in der ersten halben Stunde heftige Rückkopplungen und Übertragungsprobleme den Konzertgenuß.
Aber als Youssou den rhythmisch hinreißend verschobenen Titelsong »Dem« von seiner aktuellen Erfolgs-Platte »The Guide« anstimmte, waren solche Unzulänglichkeiten längst unwichtig geworden. Und selbst bei einem von der Band etwas verwaschen intonierten »7 Seconds« — das ist der 94er Mega-Hit von Youssou — störte sich niemand daran, daß Background-Sängerin Miriam Betty, sozusagen Live-Ersatz für Neneh Cherry, die auf der CD singt, heftigst daneben lag: Die Fans sangen richtig!
Geradezu überschwappend die Begeisterung, als Youssou mit verschmitztem Lächeln »a new friend« ankündigte: Gilberto Gil kam bestens gelaunt und von Jubel umtost nochmal auf die Bühne. Nach seinem hervorragenden Konzert hatte der überaus bescheidene Superstar und Übervater der »Musica Popular Brasilieira« hinter der Bühne mit den »Zoo«-Leuten gescherzt und mit Fans geplaudert — und stieg dann bestens aufgelegt mit einer akustischen Gitarre bei den Senegalesen mit ein.
Die Improvisationen N'Dours, seines Gitarristen und dem vokal-perkussionistisch auftrumpfenden Gil waren traumhafte Konzertmomente: Da schälte sich aus einem »Mbajax«-Groove ein Samba heraus, wurde zum sanft tuckernden Reggae verschoben. Das war lebendige, kein bisschen aufgesetzte, vielmehr originäre »Weltmusik« im positivsten Sinn. Manche Zuhörer hatten Tränen in den Augen vor Musik-Glück.
Klar, daß die »Zugabe«-Rufe nach 90 Minuten mit der markant-hellen »schönsten Stimme Afrikas« nicht enden wollten. Selbst Zoo-Chef Winfried Kast, der wegen ordnungsamtlichen Auflagen zunehmend öfter auf die Uhr blicken musste, schaute mit glitzernden Augen ziemlich begeistert drein.
Den Bob-Dylan-Klassiker »Chimes Of Freedom« gab Youssou N'Dour, während die Lichtregie äusserst geschmackvoll blaue und lila Lichtmuster über den Marktplatz tanzen liessen, um kurz nach halb elf als Zugabe. Einfach magisch! (mpg)
Sonntag, 2. Juli 1995
AfroBrasil Tübingen '95: Wirbelnde Trommeln aus Bahia
So ausdauernd waren die Tübinger Brasil-Fans schon lange nicht mehr: Bei der Afro-Brasil-Party war das »Foyer« selbst nachts um vier auf allen Ebenen noch proppenvoll. Und Hunderte von Hüften wiegten sich in gemeinsamer Tanzbegeisterung zum Klang der Trommeln aus Bahia.
Die treibenden Rhythmen kamen da von der »Banda do Pelo«, die das zweitägige Marktplatz-Festival des »Zentrum Zoo« am späten Samstagmittag auch eröffnete. Zum Brasil-Wochenende des »10. Internationalen Tübinger Festivals« — europaweit das größte Festival mit »Musica Popular Brasileira« — reisten diesmal noch mehr Brasilianer als in der Vergangenheit an. So kam's, daß nicht nur in den ersten Reihen die Fans schnell zu den Perkussionsgewittern der neun Musiker begeistert tanzten angeheizt von zwei muskulösen Spitzen-Tänzern mit traumhafter Körperbeherrschung. Besonders die »Samba-Reggae«Stücke der »Banda do Pelö« kamen an.
Vielen, denen das Hemd schon nach diesem ersten Konzert schweißnaß auf der Haut klebte, war der heftige, viertelstündige Regenguß vor und zu Beginn des Auftritts von Chico Science hochwillkommen.
Science ist, samt seiner reichlich schräg agierenden Truppe »Nacao Zumbi«, ohne Frage die Entdeckung des Festivals. Auf sehr eigenständige Weise verbindet der Brasil-Rapper den Trommel-Sound und die Grooves aus Bahia mit HipHop-Rhythmusstrukturen, sehr viel Bewußtsein für die Funk-Tradition — und knüppelhartem Hardcore obendrein. Das ist eine Mischung, wie es sie hierzulande weder von Platte noch live zu hören gab — unverbraucht und vor allem für die Nicht-Brasilianer im Publikum mitreißend. Chicos Landsleute waren — zumindest auf dem Tübinger Marktplatz — von dem ungewöhnlichen und für »MPB«-Verhältnisse ungewöhnlich stark US-amerikanisch geprägten Konzert nicht ganz so begeistert.
Da war das wirbelnd bunte, aber beileibe nicht so aufregende Set von Diana Miranda schon mehr nach dem Geschmack der Südamerikaner. Die langmähnige Sängerin mit Ausstrahlung hat sich schon 1993 beim Jazzfestival von Montreux in Europa vorgestellt. Obwohl die Afro-Reggae-Rhythmen auf der Bühne perfekt choreographiert waren und zum Tanzen mitrissen: Für den mit Spitzen-Konzerten verwöhnten Tübinger Festival-Besucher war's eher lau. Kollektive Tanz-Ekstase war dann wieder bei den Trommel-Orgien von »Olodum« angesagt; die 16 Musiker verwandelten den inzwischen fast überfüllten Marktplatz in ein Meer wiegender Arme.
Die Trommeln schwiegen nur kurz: Am Sonntag ging's mit einem sehr rockigen Konzert von Simone Moreno samt »Banda« weiter — und spätestens, als die zierliche Sängerin den Klassiker »Brasil« anstimmte, waren müde Fans wieder hellwach. Moreno hatte sieben erstklassige Musiker um sich geschart; vor allem der Baßmann legte bei der »MPB«-Variante von Bob Marleys »No Woman, No Cry« ein klasse Solo hin. Das Publikum war hin und weg — und bekam ein »Satisfaction« von den »Stones« als Zugabe.
»Timbalada«, eine 16köpfige »Bloco Afro«, riß danach vor allem Landsleute mit einer musikalisch wie tänzerisch perfekten Perkussions-Orgie mit. Dieser Auftritt war auch optisch das reinste Vergnügen: Alle, auch die beiden hübschen Backgroundsängerinnen, hatten nämlich am Oberkörper nur ein bißchen Farbe an...
Am frühen Abend stand dann der Superstar Brasiliens auf der Marktplatz-Bühne. Gilberto Gil und seine traumhaft sichere »Acoustic Band« hatten hundertfache Verstärkung: Die aufmerksame Brasil-Fraktion auf dem Marktplatz sang bei dem leisen, differenzierten Set von Anfang bis Ende mit. Mit dem Konzert von Youssou N'Dour ging die zweitägige Afro-Brasil-Fete zu Ende.
Die treibenden Rhythmen kamen da von der »Banda do Pelo«, die das zweitägige Marktplatz-Festival des »Zentrum Zoo« am späten Samstagmittag auch eröffnete. Zum Brasil-Wochenende des »10. Internationalen Tübinger Festivals« — europaweit das größte Festival mit »Musica Popular Brasileira« — reisten diesmal noch mehr Brasilianer als in der Vergangenheit an. So kam's, daß nicht nur in den ersten Reihen die Fans schnell zu den Perkussionsgewittern der neun Musiker begeistert tanzten angeheizt von zwei muskulösen Spitzen-Tänzern mit traumhafter Körperbeherrschung. Besonders die »Samba-Reggae«Stücke der »Banda do Pelö« kamen an.
Vielen, denen das Hemd schon nach diesem ersten Konzert schweißnaß auf der Haut klebte, war der heftige, viertelstündige Regenguß vor und zu Beginn des Auftritts von Chico Science hochwillkommen.
Science ist, samt seiner reichlich schräg agierenden Truppe »Nacao Zumbi«, ohne Frage die Entdeckung des Festivals. Auf sehr eigenständige Weise verbindet der Brasil-Rapper den Trommel-Sound und die Grooves aus Bahia mit HipHop-Rhythmusstrukturen, sehr viel Bewußtsein für die Funk-Tradition — und knüppelhartem Hardcore obendrein. Das ist eine Mischung, wie es sie hierzulande weder von Platte noch live zu hören gab — unverbraucht und vor allem für die Nicht-Brasilianer im Publikum mitreißend. Chicos Landsleute waren — zumindest auf dem Tübinger Marktplatz — von dem ungewöhnlichen und für »MPB«-Verhältnisse ungewöhnlich stark US-amerikanisch geprägten Konzert nicht ganz so begeistert.
Da war das wirbelnd bunte, aber beileibe nicht so aufregende Set von Diana Miranda schon mehr nach dem Geschmack der Südamerikaner. Die langmähnige Sängerin mit Ausstrahlung hat sich schon 1993 beim Jazzfestival von Montreux in Europa vorgestellt. Obwohl die Afro-Reggae-Rhythmen auf der Bühne perfekt choreographiert waren und zum Tanzen mitrissen: Für den mit Spitzen-Konzerten verwöhnten Tübinger Festival-Besucher war's eher lau. Kollektive Tanz-Ekstase war dann wieder bei den Trommel-Orgien von »Olodum« angesagt; die 16 Musiker verwandelten den inzwischen fast überfüllten Marktplatz in ein Meer wiegender Arme.
Die Trommeln schwiegen nur kurz: Am Sonntag ging's mit einem sehr rockigen Konzert von Simone Moreno samt »Banda« weiter — und spätestens, als die zierliche Sängerin den Klassiker »Brasil« anstimmte, waren müde Fans wieder hellwach. Moreno hatte sieben erstklassige Musiker um sich geschart; vor allem der Baßmann legte bei der »MPB«-Variante von Bob Marleys »No Woman, No Cry« ein klasse Solo hin. Das Publikum war hin und weg — und bekam ein »Satisfaction« von den »Stones« als Zugabe.
»Timbalada«, eine 16köpfige »Bloco Afro«, riß danach vor allem Landsleute mit einer musikalisch wie tänzerisch perfekten Perkussions-Orgie mit. Dieser Auftritt war auch optisch das reinste Vergnügen: Alle, auch die beiden hübschen Backgroundsängerinnen, hatten nämlich am Oberkörper nur ein bißchen Farbe an...
Am frühen Abend stand dann der Superstar Brasiliens auf der Marktplatz-Bühne. Gilberto Gil und seine traumhaft sichere »Acoustic Band« hatten hundertfache Verstärkung: Die aufmerksame Brasil-Fraktion auf dem Marktplatz sang bei dem leisen, differenzierten Set von Anfang bis Ende mit. Mit dem Konzert von Youssou N'Dour ging die zweitägige Afro-Brasil-Fete zu Ende.
Montag, 6. Juli 1992
AfroBrasil Tübingen 1992: Unbeschwerte Ausgelassenheit
Tübingen liegt doch in der Nähe des Zuckerhuts, wenigstens acht Stunden im Jahr: Als Gilberto Gil, der Superstar der brasilianischen Musikszene, am Samstag auf dem Marktplatz kurz vor Mitternacht mit seiner exzellenten Begleitband den Klassiker »Brasil« anspielte, war die Stimmung am Kochen.
Begeistert tanzend sang ein großer Pulk seiner Landsleute auswendig mit, grün-gelbe Flaggen wurden geschwenkt. Die unbeschwerte Ausgelassenheit übertrug sich auch auf diejenigen, die südamerikanisches Temperament nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben. Das Tübinger Publikum feierte mehr als zwei Stunden lang »seinen« Star, der fast keine Gelegenheit für Abstecher in die Unistadt ausläßt.
Die afrobrasilianische Nacht beim »7. internationaler Tübinger Festival« hatte an Nachmittag bei wolkenverhangenem Himmel fast so begonnen, wie sie endete. Die »Banda Afro Ara Ketu«, das sind elf Vollhlut-Musiker aus Salvador da Bahia, brauchte exakt drei Minuten, um Bewegung ins Publikum zu bringen. Sechs Bandmitglieder waren an Perkussionsinstrumenten beschäftigt, hörten phantastisch gut aufeinander und trommelten mit großer Energie eineinviertel Stunden lang.
Da mischte sich abwechslungsreich und voller Spannung Samba- mit Reggae- und Funkrhythmen, die Harmonien von »Ara Ketu« haben zum großen Teil Ohrwurm-Qualitäten. Nicht nur »Zoo«-Chef Winfried Kast, der die Gruppe zu ihrem ersten Konzert in Deutschland nach Tübingen geholt hatte, war ganz aus dem Häuschen.
Als Marisa Monte, eine junge Sängerin aus Rio de Janeiro, zweieinhalb Stunden später mit ihrer Band anfing zu spielen, hatten die Wolken vorübergehend der Sonne Platz gemacht. Die Miene von »Zoo«-Mitarbeiter Jürgen Eberhardt hellte sich auf. Das Konzert der in ihrer Heimat äußerst beliehten Sängerin, deren Band in Tübingen stilistisch variabel und wie aus einem Guß musizierte, begann leise und verhalten. Bis zur Mitte ihres Auftritts ließ sich die Monte, deren eher dunkel timbrierte, weiche Stimme wie geschaffen ist für süße Balladen, immer wieder nur mit akustischer Gitarre und sparsamer Perkussion begleiten. Das war Musik, die viel besser in einen intimen Club als auf eine Open-Air-Veranstaltung paßte.
Später taute die anfangs fast scheu wirkende Sängerin mehr und mehr auf. Als ihre Band rhythmisch immer verzahnter spielte und sich die jazzbeeinflußten Harmonien mehr der Funk- und Rock-Ecke näherten, gab's auch zumindest für den Halbkreis direkt vor der Bühne — im Publikum kein Halten mehr. »All I want is you«, sang die erst 25jährige Marisa Monte neben brasilianischen Stücken, Titel von »Sly and the Family Stone« und Tom Waits (»Temptation«) — aher auch eine Arie aus der klassischen Oper »Die Nachtwandlerin« von Vincenzo Bellini. Am Ende verlangten nicht nur die Brasilianer begeistert nach mehr.
Gilberto Gil, gerade 50 gewordene Identifikationsfigur der armen schwarzen Brasilianer, riß das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Sänger und Gitarrist Fernando Cruz, der im Vorjahr selber auf der Marktplatz-Bühne stand, war von der familiären Atmosphäre auf dem Marktplatz sichtlich angetan. Immer wieder kletterten weibliche Fans über die Absperrung, um dem Meister ein Küßchen auf die Wange zu drücken. Der lieferte zum Schluß eine treibende Version von Bob Marleys »Stir it up« und ging exakt um Mitternacht von der Bühne. (mpg)
Begeistert tanzend sang ein großer Pulk seiner Landsleute auswendig mit, grün-gelbe Flaggen wurden geschwenkt. Die unbeschwerte Ausgelassenheit übertrug sich auch auf diejenigen, die südamerikanisches Temperament nicht mit der Muttermilch aufgesogen haben. Das Tübinger Publikum feierte mehr als zwei Stunden lang »seinen« Star, der fast keine Gelegenheit für Abstecher in die Unistadt ausläßt.
Die afrobrasilianische Nacht beim »7. internationaler Tübinger Festival« hatte an Nachmittag bei wolkenverhangenem Himmel fast so begonnen, wie sie endete. Die »Banda Afro Ara Ketu«, das sind elf Vollhlut-Musiker aus Salvador da Bahia, brauchte exakt drei Minuten, um Bewegung ins Publikum zu bringen. Sechs Bandmitglieder waren an Perkussionsinstrumenten beschäftigt, hörten phantastisch gut aufeinander und trommelten mit großer Energie eineinviertel Stunden lang.
Da mischte sich abwechslungsreich und voller Spannung Samba- mit Reggae- und Funkrhythmen, die Harmonien von »Ara Ketu« haben zum großen Teil Ohrwurm-Qualitäten. Nicht nur »Zoo«-Chef Winfried Kast, der die Gruppe zu ihrem ersten Konzert in Deutschland nach Tübingen geholt hatte, war ganz aus dem Häuschen.
Als Marisa Monte, eine junge Sängerin aus Rio de Janeiro, zweieinhalb Stunden später mit ihrer Band anfing zu spielen, hatten die Wolken vorübergehend der Sonne Platz gemacht. Die Miene von »Zoo«-Mitarbeiter Jürgen Eberhardt hellte sich auf. Das Konzert der in ihrer Heimat äußerst beliehten Sängerin, deren Band in Tübingen stilistisch variabel und wie aus einem Guß musizierte, begann leise und verhalten. Bis zur Mitte ihres Auftritts ließ sich die Monte, deren eher dunkel timbrierte, weiche Stimme wie geschaffen ist für süße Balladen, immer wieder nur mit akustischer Gitarre und sparsamer Perkussion begleiten. Das war Musik, die viel besser in einen intimen Club als auf eine Open-Air-Veranstaltung paßte.
Später taute die anfangs fast scheu wirkende Sängerin mehr und mehr auf. Als ihre Band rhythmisch immer verzahnter spielte und sich die jazzbeeinflußten Harmonien mehr der Funk- und Rock-Ecke näherten, gab's auch zumindest für den Halbkreis direkt vor der Bühne — im Publikum kein Halten mehr. »All I want is you«, sang die erst 25jährige Marisa Monte neben brasilianischen Stücken, Titel von »Sly and the Family Stone« und Tom Waits (»Temptation«) — aher auch eine Arie aus der klassischen Oper »Die Nachtwandlerin« von Vincenzo Bellini. Am Ende verlangten nicht nur die Brasilianer begeistert nach mehr.
Gilberto Gil, gerade 50 gewordene Identifikationsfigur der armen schwarzen Brasilianer, riß das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Sänger und Gitarrist Fernando Cruz, der im Vorjahr selber auf der Marktplatz-Bühne stand, war von der familiären Atmosphäre auf dem Marktplatz sichtlich angetan. Immer wieder kletterten weibliche Fans über die Absperrung, um dem Meister ein Küßchen auf die Wange zu drücken. Der lieferte zum Schluß eine treibende Version von Bob Marleys »Stir it up« und ging exakt um Mitternacht von der Bühne. (mpg)
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