Mittwoch, 9. Dezember 1992

Ray Charles: My World

Wie war das noch mit den vielen Köchen, die einen Brei verderben können? Wäre nicht das ungebrochene Charisma seiner Stimme — die aktuelle Platte von Soul-Übervater Ray Charles ginge in der Masse der »Black Music«-Platten unter.
Produziert von Richard Perry und Benny Medina plus jeder Menge Hilfsproduzenten, kommen sieben der insgesamt zehn Titel auf »My World« im hypermodernen Gewand daher. Das bedeutet, daß nicht nur im Titelsong Schlagzeug-Computerprogrammierer sich austoben durften und ganze Heerscharen von Toningenieuren an den Aufnahmen herumbastelten. Wo sich der eine Hörer über feinverteilte Studioeffekte freut und über den perfekt-sterilen High-Fidelity-Sound jubelt, mag der andere über die Unzahl von Mätzchen stöhnen — und darüber, daß der »Pianoman« Charles permanent gegen einen »Wall of Sound« ankämpfen muß.

Der Gute gewinnt natürlich, dank gewiefter Songschreiber (alle Titel sind Fremdkompositionen) und seiner auch nach 46 Karrierejahren frisch und unverbraucht wirkenden, sprudelnden Musikalität. Die läßt die Beiträge vieler bekannter Popstars, die für Charles gearbeitet haben, schlichtweg vergessen.
Eric Clapton, die Edel-Studiodrummer Steve Gadd, Vinnie Colaiuta und Jeff Porcaro drückten sich die Klinken von sechs Tonstudios in die Hand, Keyboarder Grog Phillinganes macht ebenso mit wie Ober-Rhythmusklopfer Paulinho da Costa.
Unverwechselbar und hochmusikalisch drückt Billy Preston die (Original-)Hammondorgel. Der Gänsehaut-Effekt, der sich beim Anhören alter Aufnahmen von Ray Charles auch heute noch einstellt, kommt in der aktuellen Produktion nur selten auf. Am ehesten noch in »A Song For You« von Leon Russel, »So Help Me God« oder bei Paul Simons »Still Crazy After All These Years«. (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...