Freitag, 21. Januar 1994

Peter Grohmann: Ossi-Leben

Einiges hat sich getan seit seinem letzten Gastspiel im Bad Uracher »forum 22«: Peter Grohmann, Schauspieler und Kabarettist, ist von Stuttgart nach Dresden gezogen; Stoff für eine Fortsetzung des Programms »Vom Stasi zum Aldi« gab es darum für ihn in den letzten zwei Jahren genug.

Bis auf den letzten Platz war das Programmkino des Stadtjugendrings am Mittwochabend gefüllt, als Grohmann, der liebe Kabarett-Onkel aus dem »Ossi«-Land, seine vorwiegend jungen Zuhörer reich beschenkte. Schokolade gab's, Schnaps sowieso, Gummibärchen - und natürlich Geld: Fürs Applaudieren eine Mark, Ordner zehn Mark, »äh, ich bräuchte noch einen, der nachher jubelnd auf die Bühne stürzt. Sagen wir fünf Mark, mit Kuss sechs?«

Die Uracher machten für Geld einfach alles - und konnten sich als typische Wessis im Spiegel bestaunen. Diesen Fehler machte der Kabarettist bei seinem Umzug von Degerloch nach Dresden nicht: »Die mögen das dort ja, wenn man bescheiden ist. Deswegen hab' ich die Küche meiner Villa auch nicht bis ganz oben gekachelt, sondern nur bis dreifünfundachtzig. Bis dorthin spritzt der Espresso.«

Ja, ja - das muss schon ein hartes Leben sein, so zwischen fünf Ex-Stuttgartern »Richter, Staatsanwälte, eine Lehrerin.. - im Osten. »Unsere Wohnung hat nur 216 Quadratmeter. Die Edelstahl-Spüle hab' ich mit dem Sattelschlepper aus Reutlingen kommen lassen«.

Grohmann liefert in "Vom Stasi zum Aldi, zwei" wahrscheinlich gar nicht mal so sehr verzerrte Bilder von unsensiblen Wessis im Ossi-Land und kalauert dabei meisterlich.

Aber mit der Geschichte hinter den Schlagzeilen um Heino - einem der Angreifer auf die US-Rodler in Oberhof - gelingt ihm auch ein sehr anrührender Text wider Schwarzweißmalerei und für mitmenschliches Verstehen.

Grohmann schweift ab, kommt vom kleinen Geschäft mit den Ukrainern, die viel billiger als die Polen schaffen, auf das Große mit den deutschen Waffen - und schaltet wiederum unvermittelt auf seine satirischen »Nachrichten«: »Bundesverteidigungsminister Rühe hat sich aus Solidarität mit den Frauen eine Rüstungsspirale einsetzen lassen«, liest er vor - und berichtet von Weizsäckers Gratulation zum »fünftmillionsten Hungerkind in Indien«.

»Das ist die Arroganz der Macht, die fett aus allen Nähten kracht«, reimt Grohmann am Ende seines 90-Minuten-Programms und reicht die Sammelbüchse herum. 20 000 Mark hat er so schon für ein »Medico«-Kinderhilfsprojekt zusammengebracht.

Autor: Martin Gerner

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...