Donnerstag, 23. Juni 1994

Jackson Singers: Dröhnende Gospels

Nur zweimal konnten die Menschen in der Marienkirche ahnen, was für ein Erlebnis das Gospelkonzert der »Jackson Singers« hätte werden können. Nur zweimal trugen die komplizierten Schallreflexionen im Reutlinger Gotteshaus den mächtigen Solo- und Chorgesang der neunköpfigen Gruppe' aus dem Umfeld der US-Kolonie im Raum Frankfurt: »Let my people go« gleich nach der Pause und »Swing low sweet chariot« ganz am Ende machten eine Gänsehaut. Der Rest des zweistündigen Gospelabends ließ nur schaudern, war akustisch eine Zumutung.

Das sahen selbst die Veranstalter vom Tübinger »Zentrum Zoo« so. Geschäftsführer und Programmgestalter Dr. Winfried Kast saß bei diesem ersten Festivalkonzert in Reutlingen mit belämmerter Miene da und konnte noch weniger als die Techniker, die dieses Konzert abmischten, was gegen die Misere tun.

Die elektrische Verstärkung aller Stimmen war völlig unnötig, noch mehr störte lautes E-Baßgewummere - und am meisten die unspektakulären, aber mit »Dampf« gespielten und ebenfalls verstärkten Schlagzeugrhythmen. Das alles kam so, weil die »Jackson Singers« es so wünschten, auf die Elektrik nicht verzichten wollten.

Damit taten sie ihren Reutlinger Fans und letztendlich auch sich überhaupt keinen Gefallen: Die sechs Sängerinnen und Sänger mögen fantastisch klingen und viel können-  nur hören hat's halt in Reutlingen selbst in den ersten Reihen keiner können.

Dabei hätte das etwas altbackene Programm durchaus glanzvolle Interpretationen vertragen. Die »Jackson Singers« brachten nämlich nur wenig zeitgenössische Gospels, gingen auf »Nummer Sicher«. Wie in den letzten Jahren die »Black Gospel Pearls«, die »Golden Gospel Singers« oder die »New Hope Gospel Singers« in ihren Reutlinger Konzerten sehr auf poppig angestrichenes Standardmaterial setzten, so sangen auch die »Jacksons« die alten Geschichten von den einmarschierenden Heiligen.

So dauerte es lange, bis ein Teil des Publikums auftaute und - nach Aufforderung - zuerst aufstand und dann auch mitklatschte. Andere waren lange vorher gegangen, hatten zum Teil ihrem Ärger auch lautstark Luft gemacht. Die Veranstalter werden diese künstlerische Pleite als Erfahrung verbuchen und wohl ziemlich lange überlegen, bevor sie noch mal ein elektrisch verstärktes Konzert in der Marienkirche anbieten. (mpg)

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...