Montag, 5. Mai 1997

Fugees: Entdecker der Lahmarschigkeit

Lassen wir mal das hessische Gebabbel von Schwester Sabrina Setlur in Stuttgarts Schleyerhalle aussen vor, und auch das wüste, dafür angenehm kurze Set der zweiten Vorgruppe. Deutschlands derzeitige Nummer eins der Pop-Charts spielte an diesem Abend nur eine Nebenrolle — und nicht nur, weil die Appelwoi-Rapperin wegen ihres kurzfristig vorverlegten Auftritts vor magerer Kulisse spielte.

Interessiert haben sich die meisten unter den rund 5 000 grösstenteils sehr jungen Konzertbesuchern wohl nur für die »Fugees« — die laschen Reaktionen auf die »Support Acts« wie auch das hysterische Geschrei, als die Pop-Rap-Supergruppe endlich auf die Bühne kam, sprachen Bände.

Zuerst durften die Fans aber einem schlechtgemixten DJ-Set zuhören, mit dem die »Fugees« wohl ihren Vorbildern und Vorlieben Respekt zollen wollen. Dann kamen Sänger und Gitarrist Wyclef Jean, die gerade hochschwangere Rapperin Lauryn Hill und Prakazrel Michel zusammen mit drei Begleitern in Blitz und Donner auf die Bühne — und ramponierten in den folgenden 90 Minuten kräftig ihren Star-Ruf.

Dass die »Fugees« live kaum einen Song richtig zu Ende spielen, dauernd abbrechen und zu etwas anderem wechseln, haben zumindest die beinharten Fans der HipHopper aus Haiti und USA schon auf
vergangenen Konzerten mitbekommen.

In Stuttgart haben's die Entdecker der neuen Lahmarschigkeit auf dem Tanzboden mit der Vermeidung jeglicher dramatischer Entwicklung aber eindeutig übertrieben. 40 Sekunden selbstvergessene Solo-Gitarren-Läufe wie zu besten Krautrockzeiten von Wyclef, danach ein 1:1 nachgespieltes »No Woman, No Cry«-Cover: (Fast) jede x-beliebige Nachspiel-Truppe, die wir in den letzten Jahren gehört haben, schlägt die gelangweilten »Fugees« da um Längen.

Nach dieser Peinlichkeit gleich die nächste: Ein (technisch erbärmliches) Bass-Solo, die Melodie des Queenschen »Another One Bites The Dust« nachgespielt — gefolgt von zwei Dutzend Takten »Jackson Five« und (gestoppten!) vier Sekunden des Hippie-Klassikers »Leaving On A Jet Plane«.

Danach dann wieder klassisches Dub-Reggae-Geblubbere, ein unmotiviertes (und auch wieder abrupt abgebrochenes) Schlagzeug-solo — und dann endlich eine »brandneue Komposition«. Kündigt Wyclef jedenfalls an — und intoniert, ausgerechnet, den Folk-Oldie »Guantanamera«. Frecher geht's eigentlich nimmer!

Im kurzatmigen Telegramm-Stil verwurschteln die »Fugees« Lou Reeds. »Walk On The Wild Side«, »Knocking On Heavens Door« (als Reggae) und anderes längst Komponiertes, beweisen dabei weder Respekt vor den Originalen, noch irgendeinen Funken Originalität.

»Auf unseren Konzerten gibt's die nächste Stufe des HipHop zu hören«, verkündeten die »Fugees« im SDR-Interview. Nach dem Schleyerhallenauftritt klingt das nur noch grossmäulig.

Besonders enttäuscht vom Konzert mussten diejenigen sein, die die Hits der beiden Platten »Blunted On Reality« und »The Score« hören wollten: Ausser einem im Vergleich zur CD noch langsamer gesungenen »Killing Me Softly« und, ganz am Ende, »Ready Or Not« gab's nur Soundschnipsel und, wie gesagt, schlecht Nachgespieltes zu hören. Und einen Abend mit »The Best Of The Seventies« gibt's in lokalen Clubs doch wesentlich billiger, oder?   (-mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...