Dienstag, 11. November 1997

Moscow Art Trio: Begnadete Musiker

An Ostern stand das verwöhnte Publikum im Stuttgarter Theaterhaus Kopf ob der Musik-Kunst des »Moscow Art Trio«, jetzt jubelten die Rottenburger: Der »Kulturverein Zehntscheuer« hatte sich mit dem Tübinger »Jazz im Prinz Karl« zusammengetan und drei hinreissende Stars der gegenwärtigen Jazz-Szene eingeladen. Die Fans in der Region ließen sich — ganz entgegen sonstiger Gepflogenheiten.— diesmal nicht lange bitten: Selbst das letzte Stehplatz-Eckchen in der Zehntscheuer war besetzt, rund 300 Gäste hörten zu.

Und erlebten — in einem Programm, das rein äußerlich dasselbe wie in Stuttgart war — ein Trio, das auf allerhöchstem Niveau spielte und improvisierte. Es gibt derzeit neben dem »Moscow Art Trio« wohl keine andere Formation, die dermaßen locker und selbstverständlich das Erbe der »ernsten« klassischen Moderne mit freier Jazz-Tradition verbindet, die Russen-Folk mit Ellington'schem Swing zusammenbringt — und allerhöchsten Anspruch mit kindlich unbeschwert wirkendem Humor.

Mikhail Alperin, der Kopf, Gründer und Pianist des Trios, wäre wahrscheinlich schon alleine wegen seiner superben Spieltechnik fast »everybody's darling« in der Arena der Tastateure. Sein überragendes Können ist ihm aber auch in Rottenburg nie Selbstzweck: Die pfeilschnellen Läufe, die kompliziert verschachtelten Rhythmus-Kämpfe zwischen linker und rechter Hand setzt er nur sehr dosiert — und damit umso effektvoller — ein. Dafür bringt er lieber erstklassig pfeifend mit einem tönenden Komponisten-Musiksketch die Zehntscheuer zum Schmunzeln: Da mimt Alperin verschmitzt die Tonsetzer-Diva, die die ebenfalls nicht unbegabten Konkurrenten ausstechen will . . .

Der Hornist Arkady Shilkloper und Sergey Starostin, ein in allen Flöten- und Klarinettentönen beschlagener Folk-Experte, spielen natürlich auch in Rottenburg nicht gegen Alperin an, sondern mit sicherem Instinkt und ebensoviel Humor mit ihm zusammen.

Auch bei diesen beiden scheint das enorme theoretische und praktische Musik-Wissen angesichts ihrer sprühenden Spiellaune in den Hintergrund zu treten: Nach ein paar Dutzend Takten federleicht verspielter Horn-Eskapaden Shilklopers hat man glatt vergessen, daß sein Instrument als sehr spröde und schwierig zu spielen gilt.

Die Reaktionen der Zuhörer ähneln sich überall: Auch in der Zehntscheuer herrscht vom ersten Konzert-Moment an konzentrierte Aufmerksamkeit, die Gesichter der Hörer zeigen Staunen. Später wird daraus angesichts der dadaistisch anmutenden Späße der drei Russen kollektives Lächeln — und im weiteren Verlauf des Abends stellenweise fast schon mit südländischem Temperament und donnerndem Applaus geäußerte Begeisterung. (-mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...