Dienstag, 17. Juli 2001

JazzOpen Stuttgart 2001: Lebendiger denn je

Die »Jazz Open 2000« wurden von vielen - wegen Sponsoring-Schwierigkeiten - als Abgesang verstanden. Jetzt ging das Stuttgarter, grenzüberschreitende Festival vielfältiger, jazziger und strahlender denn je in einer neuen Ausgabe über die Bühnen bei und in der Liederhalle.

Das neue Konzept, konzertant musizierende Künstler und »Acts« im Hegel- oder Schillersaal zu präsentieren und »jungen«, tanzbaren Jazz open air auf dem Gelände zwischen Liederhalle und dem neuerbauten »Bosch-Areal«, ist aufgegangen.

Nicht nur das Programm geriet bunter als bei vergangenen »Jazz Open«-Ausgaben - mit den Freiluft-Konzerten oder dem Projekt der Ambience-Jazzer orbit experience zusammen mit dem Stuttgarter Kammerorchester haben sich die Festivalmacher ein ganz neues Publikum erschlossen.

Und sie haben mit hervorragenden Konzerten von Altmeistern die älteren Jazzfans restlos begeistert. Dave Brubeck zum Beispiel, die Cool-Jazz-Legende, zeigte sich in Stuttgart von einer ganz anderen Seite als bei seinem letztjährigen Gastspiel im Tübinger Uni-Festsaal: Vital wie ein junger, hochpräzise und, natürlich, stets swingend brachte der Piano-Meister vom »St. Louis Blues« bis hin zu seinem Paradestück »Take Five« Erstklassiges: Von altersbedingter Müdigkeit war hier nichts zu spüren, die Stuttgarter zeigten sich restlos begeistert.

Genauso warmherzig empfingen sie ganz zum Abschluss des viertägigen Festivals Vokaljazz-Diva Dee Dee Bridgewater - und trotzten zusammen mit Fusion-/Souljazz-Mann Al Jarreau dem Regen.
Da hat es gekübelt wie aus Eimern, aber weder die Besucher unter einer geschlossenen Regenschirmdecke noch der Künstler selbst ließen sich von den widrigen Bedingungen einschüchtern. Im Gegenteil: Jarreau zeigte sich (das ist, hat man ihn schon öfters erlebt, nicht selbstverständlich) sehr locker und stimmlich in Topform: Der Stimmumfang des 61-Jährigen ist enorm, die Artikulation selbst in pfeilschnellen Scat-Passagen präzise. Die Stuttgarter haben ihn; »singin' and dancin' in the rain«, in ihr Herz geschlossen.

Und haben George Benson, der vor Jarreau auftrat, mehr als Achtungsapplaus zukommen lassen: Der Jazzrock-Gitarrenmeister hat auch schon viel langweiliger gedudelt als bei den »Jazz Open«; sein Stuttgarter Konzert geriet zu einer recht funkigen Angelegenheit.

In Sachen Jazz-Funk die Nasemit deutlichem Abstand vorn hatte die Advanced Combo Funk um Ex-Tab-Two-Trompeter Joo Kraus und Klavier-»Käpsele« Rainer Tempel. Auch wenn die Stuttgarter / Tübinger Gruppe mit ihrer schwer soulig groovenden, hitzigen Musik nicht jene bombastische Stimmung wie beim Tübinger Clubkonzert vor kurzem aufs Liederhallen- Gelände zaubern konnte, zeigten sich die Zuhörer doch von den Schwoba-Funkern begeisterter als vom nachfolgenden norwegischen Trompeten-Star Nils Petter Molvaer: Der verlor sich - wie im »Sudhaus« auch schon mal - im Wirrwarr zwischen eklektizistischen Miles-Tones,  Elektronik-Overkill    und »Drum'n'Bass«-Rhythmusclustern.

Der zunehmend dröhnendere Lautstärkepegel hat dieses Konzert nicht weniger langweilig gemacht. Der Autor dieser Zeilen bleibt - vorerst - bei seiner Einschätzung: Molvaer hat mit »Khmer« vor Jahren eine tolle Platte abgeliefert; live muss man ihn nicht unbedingt gehört haben...

Einzigartig geriet dagegen das Projekt der heimischen »orbit experience«-Musiker zusammen mit dem Stuttgarter Kammerorchester am dritten Festivaltag im Hegelsaal: Scheinbar ohne große Anstrengung hatten Sebastian Studnitzky (Dirigent, Trompeter, Keyboarder), Gitarrist Markus Birkle, Drummer Flo Dauner und Bassist Markus Kössler ihren eigenen, mit vielen Hip-Hop-, Drum'n'Bass und »Ambient Music«-Schnipseln durchsetzten Sound mit den flächigen Streicherklängen des Kammerorchesters zusammengebracht und so souverän ein wohltönendes Stil-Konglomerat zwischen wirklich allen Stühlen geschaffen. Vor allem die jüngsten »Jazz Open«-Besucher unter 25 waren sehr angetan.

So richtig ging die Post ab bei den französischen Elektronik-Funkern von St. Germain: Mit viel afrikanischen und Reggae-Bezügen lieferte diese Gruppe ein von Anfang bis Ende tanzbares Set, das zumindest den hinteren Teil des Hegelsaals in eine Disco verwandelte. St. Germain klang definitv mehr nach »open« als nach Jazz - kam aber bestens an.

Und auch die Freiluft-Groove-Session funktionierte an diesem »Jazz Open«-Tag hervorragend: Die Brasilianerinnen Maria Ochoa und Bebel Gilberto stimmten mit eher sanft wiegenden, im Falle von Bebel nur ein wenig zu poppigen »MPB«- Klängen auf die nachfolgenden hitzigen Rhythmen von Lokalmatador Lothar Schmitz und seiner auch in der Region bestens bekannten Gruppe MamBebop ein. Die Fans quittierten die Musik hüftschwenkend.
Autor: Martin Gerner

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...