Samstag, 30. April 1988

Die Glasmenagerie: Familien-Horrorfilm

Nun gab es »Die Glasmenagerie« nach der Tonne-Aufführung auch im Kino zu sehen; Paul Newman hat dieses Kammerspiel verfilmt.
Es ist ein hervorragendes Schauspieler-Werk, gut abgefilmtes Theater geworden.
Karen Allen als Laura verkörpert einfühlsam das in einer Innenwelt lebende Töchterchen, das sich nur noch an seinen Glastieren erfreuen kann. John Malkovich in der Rolle des Sohnes Tom führt die Besucher durch den Film; der alte, abgeklärte Cowboy weiß um die Härte der Welt, wenn er ein Stück seiner Jugend aufrollt.
Über allen und jedem herrscht die mächtige Mutter Amanda, die von Newmans Frau Joanne Woodward verkörpert wird. Die Figur der Amanda ist übermächtig; schrill und laut tobt sie durch den Film, die »Nebenfiguren« fallen erst auf, wenn diese Frau (Tennessee Williams stellte sich eine »kleine Frau« vor) das Szenario verlässt.
Joanne Woodward stellt den alltäglichen Wahn der Amanda hervorragend zur Schau, ohne dabei die erschreckende Normalität dieser Figur zu vergessen. So sehr werden die Extreme Amandas herausmodelliert, daß nicht nur die Kinder Laura und Tom zu leiden haben; auch der Zuschauer ist entsetzlich genervt.
Michael Ballhaus (der bei 14 Fassbinder-Filmen hinter der Kamera stand) hat dieses Schreckenskabinett einer kaputten Familie hervorragend, weil in behutsamen Bildern, eingefangen. Das war's dann aber auch.
Da, wo sich der Theaterbesucher das eine oder andere denken muß, weil er es nicht sehen kann, hätte der Film durchaus mit eigenen Mitteln der Phantasie nachhelfen können. Das ist jedoch nicht der Fall, es bleibt alles seltsam glatt und oberflächlich.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 30. April 1988

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...