Daß aber zum offiziellen Konzertbeginn die »Mitte« zwar nicht gähnend leer war, aber doch noch große Lücken aufwies, wirft kein gutes Licht aufs Reutlinger Publikum.
Wirklich unverständlich, daß bei so einem höchstkarätig besetzten Gastspiel (Ray Brown und Herb Ellis gehören zu den wichtigsten Jazzmusikern dieses Jahrhunderts; sie haben Geschichte gemacht) die Leute nicht zahlreicher kamen — zumal man sich angesichts des fortgeschrittenen Alters von Brown und Ellis nie sicher sein kann, ob man sie nicht zum letzten Mal live sieht. Die große Stuttgarter Dixieland-Hall war bei ihrem Konzert zwei Tage zuvor ausverkauft!
Die langen Gesichter der Veranstalter waren dann aber — nach den ersten Tönen des Trios — schnell verschwunden. Zwei Sets und Stunden später war auch dem letzten klar, warum diese Musiker so hoch gehandelt werden.
Oft haben ja Konzerte der Altstars nur Nostalgiewert; die schöne Erinnerung wird manchmal auch noch durch erlahmende Technik und kreative Ausgebranntheit getrübt. Bei Ray Brown und Herb Ellis (Monty Alexander als Mittdreißiger lassen wir hier mal außer acht) war das nicht so.
Natürlich waren keine bahnbrechenden Innovationen zu bestaunen. Daß die Musiker aber noch längst nicht zum »alten Eisen« gehören — weder spieltechnisch noch musikalisch — , dass Brown und Ellis noch für manche Überraschung gut sind — das wurde dem, der es nicht glauben wollte aufs zwingendste bewiesen: Die Arrangements der bewährten Standards (die dürfen natürlich nicht fehlen) waren manchmal bis zur Unkenntlichkeit verändert.
Aus den »ollen Kamellen« wurden so spannungsgeladene Stücke, bei denen das Zuhören oft einer Entdeckungsreise glich. Das Zusammenspiel der drei Musiker ging mit traumwandlerischer Sicherheit vor sich; wahrscheinlich wissen sie schon vorher intuitiv, was der andere gleich spielen wird.
Innerhalb des enorm swingenden Rahmens war dann auch Platz für allerlei Kabinettstückchen, sei es urplötzlich ein Reggae-Beat von Herb Ellis oder atemberaubend schwierige Taktverschiebungen auf dem Klavier, die ständig geringfügig verändert wurden. Kurz gesagt: Die Besucher hörten und sahen ein Konzert der Extraklasse, an dem es — außer dem relativ schwachen Andrang — überhaupt nichts auszusetzen gab. Leute, die daheimgeblieben waren, haben sich um ein großes musikalisches Erlebnis und ums eigene Vergnügen gebracht. Selber schuld. (mpg)