Samstag, 16. April 1988

Ray Brown: Mister Bass

Den ersten Bass »lieh« er sich aus dem Instrumentenfundus der High School in Pittsburgh. Der Etüden auf dem Pianoforte müde, dachte er, daß der Baß mit seinen nur vier Saiten leichter zu erlernen sei. Doch sein Engagement im Schulorchester war ihm schon damals zu wenig und so kündigte er einen Auftritt in einem Club in der Lokalzeitung an — mit Bild, auf dem auch der schuleigene Bass zu sehen war. Die Schulmeister wurden böse ob der trivialen Nutzung des Schulinstruments. Und so mußte ihm sein Vater wohl oder übel ein eigenes Instrument kaufen.
Damit begann die Karriere eines beispiellosen Musikers: Ray Brown, heute 62 Jahre alt, von Beruf Jazz-Bassist.
Nach dem Abschluß der Highschool reiste Brown mit verschiedenen Bands durch die USA. Durch seinen souveränen Umgang mit dem Instrument hatte er schon als 20jähriger bei Kollegen und Kritikern einen exzellenten Ruf. In New York, damals wie heute das Mekka aller Jazzer, angekommen, ging Brown, so die Legende, sofort in die verschiedenen kleinen Clubs in der 52. Straße, um dort Leute wie Art Tatum, Billie Holiday oder Charlie Parker zu hören.
Ray Brown war noch keine vier Stunden im »Big Apple«, als er in einer Pause Dizzy Gillespie vorgestellt wurde. Und weil dem jungen Musiker sein guter Ruf nach New York vorausgeeilt war, fragte Dizzy, ob Ray nicht bei der nächsten Probe dabeisein wollte. Brown wollte natürlich — und er blieb dann auch noch ein wenig länger: Für die nächsten zwei Jahre spielte er zusammen mit Charlie Parker, Bud Powell und Max Roach in Dizzy's Band.

1948 verließ Ray Brown die Combo und gründete mit Hank Jones und Charlie Smith sein erstes Trio. Und er heiratete Ella Fitzgerald, die er in der Zeit bei Dizzy Gillespie kennengelernt hatte.
Eines Abends in der Carnegie Hall bei »Jazz at the Philharmonic« wollte Ray Brown eigentlich nur zuhören. Aber der Bassist der Band fehlte, das Orchester entdeckte Brown im Publikum — und Ray Brown sprang auf Bitten von Norman Granz ein. Diese Aushilfe dauerte 18 Jahre lang, in denen Ray Brown mit der Big Band durch alle möglichen Konzerthallen der Welt zog. Und er gehörte — bis zur Auflösung im Jahr 1966 — zum Oscar Peterson-Trio.
Nach der Auflösung des Oscar Peterson-Trios zog Ray Brown, der inzwischen zusammen mit Jimmy Blanton, Oscar Pettiford und Charles Mingus zu den größten modernen Jazzbassisten gerechnet wird, nach Los Angeles um: »Wo sonst kann ich das ganze Jahr Golf spielen und vom Musikmachen leben?«
Als er 1973 mit Duke Ellington ein Album einspielte, schloß sich ein Kreis: Jetzt stand Ray Brown an der Stelle seines Vorhildes Jimmy Blanton, der in nur drei Jahren (Blanton tauchte 1939 in der Jazzszene auf und starb schon 1942) das Baßspiel ähnlich wie Charlie Christian auf der Gitarre völlig umkrempelte.
Ray Brown hat unzählige Auszeichnungen und Ehrungen erhalten, ob »Grammy Awards« oder Spitzenplätze bei Leser- und Kritiker-Polls der Jazzpublikationen. Bis heute ist sein Einfluß als einer der wichtigsten Neuerer des modernen Bassspiels unbestritten. Neben Verpflichtungen als Gastdozent an Jazzschulen fördert er mit großem privaten Einsatz junge Talente. Und er macht natürlich auch noch Musik: Etwa zusammen mit Monty Alexander und Herb Ellis am 22. April im Jazzclub »in der Mitte« in Reutlingen.  (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...