Mittwoch, 8. Februar 1989

Island Records: Reggae für die Insel

Wenn heute der Label-Name »Island« fällt, denkt der Szene-Kenner an Reggae, »Spencer Davis Group« und »U 2«. Vielleicht fällt auch noch der Name Chris Blackwell. Der Mann ist fast so etwas wie ein Synonym für »Island«; er hat den heutigen Indepedent-Großbetrieb aufgebaut, immer die Kontrolle
über das musikalische Geschehen behalten und ist einer der wenigen heutigen Pop-Mogule, die sich mehr für die Musik als fürs Geld interessieren.
Blackwell wuchs in Jamaica auf, wurde in einem englischen Internat erzogen und verbrachte einen Großteil seiner Jugend mit Reisen. Er interessierte sich für Jazz und Blues — seine Liebe galt schon immer dem Ska, Bluebeat und Reggae.
Die Anfänge seines »Island«-Labels waren klein: Vom Rücksitz seines Autos aus, so will es die Legende, verkaufte er in den Straßen von London Bluebeat-Platten. Vom Gewinn konnte Blackwell dann die nächste 1000er-Auflage pressen lassen. Das erste große Geschäft machte Blackwell mit einer unbekannten Sängerin namens Millie Small: »My boy lollipop«, die erste Single der 14jährigen Jamaikanerin, verkaufte sich über sechs Millionen Mal.
1967, fünf Jahre nach den Anfängen, baute Blackwell sein Label aus; »Island« hat sich trotz Niveauschwankungen das Image eines »Qualitätsbetriebs« erhalten können. Vor 22 Jahren waren »Traffic«, »Fairport Convention« oder Cat Stevens bei »Island« unter Vertrag.
Die größte Aufmerksamkeit widmete Chris einem Musiker, der schon zu Lebzeiten zur Legende wurde: Bob Marley. Chris Blackwell baute den charismatischen Reggae-Sänger auf — überhaupt ist es im wesentlichen das Verdienst Blackwells und seiner Firma »Island«, daß Reggae Ende der 70er und zu Anfang der 80er Jahre weltweit Beachtung fand. »Als Bob Marley starb, starb auch viel von meiner Begeisterungsfähigkeit. Mit ihm zu arbeiten, war anders als das übliche Business. Das war wie ein Kreuzzug. Es war hart für mich, nach Marley wieder zum Tagesgeschäft zurückzukehren«, sagt Blackwell heute.
Neben dem Reggae — fast alle heute international erfolgreichen Reggae-Bands haben bei Blackwell angefangen oder sind heute noch bei »Island« - zeichnet sich das »Island«-Repertoire durch Vielseitigkeit aus.
Von Disco a la Grace Jones bis hin zur sogenannten »modernen Klassik« reicht das Spektrum heute. »Das musikalische Spektrum von Island ist genau das, vor dem man ein Independent-Label immer warnt. Normalerweise hat sich ein kleines Label zu spezialisieren: dummerweise kann ich das nicht, dafür sind meine Interessen zu vielschichtig.« Das breite Musik-Spektrum hat nicht geschadet — Blackwell finanziert eben mit Publikumslieblingen wie »U2« schwieriger zu verkaufende Künstler über Jahre hinweg, wenn's nötig ist.
Einer, der 23 Jahre lang bei »Island« war und von Blackwell auch in kreativ erfolglosen Jahren unterstützt wurde, ist vor kurzem zur Konkurrenz gegangen. Steve Winwood erhielt von »Virgin« einen Zwölf-Millionen-Vertrag für drei Alben. »Da konnten wir nicht mithalten«, meint Blackwell lakonisch.
Seine eigene Arbeit kommentiert der 52jährige eher britisch-unterkühlt: »Ich bin ein altmodischer Promoter. Du siehst etwas, was du gut findest, und schaust, ob du nicht den Rest der Welt dafür begeistern kannst.« (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...