Man kann einen Theater-Klassiker »klassisch« auf die Bühne bringen, mit historischer Kostümierung und entsprechendem Bühnenbild. Genauso ist es möglich, das gleiche Stück mit moderneren Versatzstücken aufzuführen, damit vielleicht den Inhalt heutigen Verhältnissen anzupassen und den Stoff mit neuem Leben zu erfüllen.
Friedrich Schillers »Jungfrau von Orleans«, am Montag abend in der zu drei Vierteln gefüllten Metzinger Stadthalle als Gastspiel der Württembergischen Landesbühne Esslingen aufgeführt, entsprach weder dem einen, noch dem anderen Typus.
Der König von Frankreich wurde v als ein wankelmütiger, blasser Renegat dargestellt; der Auftritt seiner Soldaten und Getreuen hatte ein (unfreiwilliges?) komisches Element: Die kämpfenden großen und kleinen Helden erinnerten auf der Stadthallen-Bühne bisweilen mehr an eine moderne Anti-Terror-Truppe als an irgendetwas anderes. Die teilweise an Punks orientierte Kostümierung vertrug sich schlecht mit der der Johanna (Sabine Bräuning), die im weißen Kleidchen und wallendem Haar wieder mehr einer historischen Inszenierung entsprach.
Natürlich ist es schwer, aus einem solchen Stück noch etwas »herauszuholen«. Der Versuch, die Zuschauer mit Stilbrüchen zu provozieren, geht aber spätestens dann schief, wenn hinter der Provokation nichts steckt.
Zumal dann, wenn man nur die Hälfte versteht: Die Drei-Stunden-Inszenierung von Konrad Hartmann, der auch für das unaufdringliche, manchmal gar zu einfache Bühnenbild verantwortlich war, forderte den Zuschauern, darunter zahlreiche Schüler, ein Höchstmaß an Konzentration ab.
Zusätzlich zu der sowieso schon schlechten Akustik in der Metzinger Stadthalle hetzten die Schauspieler mit manchmal aberwitziger Geschwindigkeit durch den Text und ließen dem Zuschauer kaum einmal Zeit, das Gehörte zu verarbeiten.
Als ob's damit nicht genug wäre, erwiesen sich manche. Ensemblemitglieder als wahre Weltmeister im Nuscheln. »Mir hätt's ja vielleicht gefallen, wenn ich was verstanden hätte«, meinte ein junger Zuschauer in der Pause.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 01. Februar 1989
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