»Dieser Stadt fehlt nur das Sahnehäubchen. Sie ist zum ... — da kommen Sie nicht drauf. Sie ist die 7. Schwarzwälder-Kirsch-Torte, die 5. Rumflockensahne, die 23. Kroatzbeere, die 16. Maultaschensuppe hintereinander« — lästerliche Worte eines Kabarettisten über seine Heimatstadt.
Dieter Trieß, der mit seinem mittlerweile 21. »Kleinkunst»-Programm am Sonntag abend im fast leeren Tonne-Keller gastierte, kommt nicht aus Reutlingen, wie der eine oder andere Zuhörer meinen könnte, sondern aus Esslingen. "Die Uhr schlägt. Alle", ist der Titel der zweistündigen Grantelei, die im Oktober an der Württembergischen Landesbühne Esslingen Premiere hatte. Die mit absurden Elementen virtuos spielenden Texte sind aus zwei Themenbereichen entstanden. Diese sind zum einen die Unfähigkeit des modernen Menschen, mit Zeit umzugehen — sei es freie, Arbeits- oder vertane Zeit — zum anderen die Haßliebe zum schwäbischen Mitbürger, speziell dem gegenüber, der aus Esslingen kommt.
Die Regie des Programms, das auf vordergründige Lacher verzichtet und dessen Texte nachgelesen stellenweise mehr Wirkung zeigen als auf der Bühne, hat der aus Wien stammende Gerhard Polacek. Regisseur und Spieler sind geistesverwandt, stellt der Kabarettist fest: »In Wien leben. heißt lebendig begraben zu sein. In Esslingen bedeutet es das Gegenteil.« Und später: »In sich verhaftete Menschen. Bruttlig! Der ahne z'laut und deppert, der andere verdruckt ond hählinge. Aber beide auf derselben hündisch-verklemmten Basis: Der Wiener kläfft, der Esslinger zieht den Schwanz ein ...«
Im sparsamen Kaffeehaus-Bühnenbild sitzt. steht und läuft Trieß, regt sich hintersinnig, spießig und mit großer Ignoranz auf wie Qualtingers Herr Karl, stolpert über die eigene schwäbische Sprache und den um sich greifenden Hirnschwund wie ein Richling und teilt alles in klare Zeiteinheiten auf: braucht es wirklich Inhalte für den Raum zwischen Morgen und Abend?
»Leben muß man, aber doch nicht arbeiten. Ach so, Sie arbeiten noch? Sie müssen! Bitte, wenn Sie's nötig haben?! Ist ja auch schön. Können Sie sich den ganzen Tag beschäftigen und bekommen Geld dafür. Jeden Tag ein Stück Verwirklichung! Am Wochenende nicht? Langweilig? Sie arbeiten nur aus Langeweile, um die Zeit totzuschlagen zwischen den Urlauben, zwischen den Feierabenden, zwischen den Jahren? Früher haben Sie sogar vor dem Frühstück gearbeitet? Schwarz? Nun ja! Die einen haben die Uhren. Und die anderen haben die Zeit.»
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 19. Dezember 1989
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