»Es hätten ruhig mehr Leute kommen können. Aber das macht nichts, ich fühl' mich wohl. Ich möchte eigentlich noch gar nicht weg!« — die Sätze der Mannheimer Sängerin Joy Fleming am Ende der Auftaktveranstaltung der 15. Reutlinger Mundartwochen charakterisierten den Abend recht gut: Selbst in der mit einem Vorhang auf ein Drittel der normalen Größe verkleinerten Listhalle blieben viele Stühle leer. Nur knapp 150 Besucher kamen — die waren, aber am Beifall gemessen, mit dem Gebotenen mehr als zufrieden.
Die Vielfalt im Programm der diesjährigen, wieder vom Kulturamt der Stadt und von der Kreissparkasse unter Leitung von Wilhelm König organisierten Mundartwochen war schon am ersten Abend deutlich: Gegensätzlichere Pole als der »Almanach«-Folk und die tiefschwarze Stimme von Joy Fleming lassen sich kaum finden.
»Almanach«, seit vielen Jahren fester Bestandteil der regionalen Folk-Szene, hatte zu Beginn mit technischen Widrigkeiten zu kämpfen. Die Mischung des vierstimmigen Gesangs war nicht so, wie sie sein sollte. Gitarrist Toni Tauscher verabschiedete sich schon im zweiten Stück von einer Saite, und die Geige von Wolfgang Materne war von einem deutlichen Brummen der Verstärkeranlage überlagert. Die Mischung verschiedenster Folk-Stile mit hochdeutschen und schwäbischen Texten kam dennoch an; das Reutlinger Quintett mußte mehrere Zugaben spielen. Die Musiker um die Sängerin Diane Gebhardt spielten perfekt zusammen. Besonders bejubelt wurde ein rasantes Solo von Flötist Roland Geiger.
Nach einer kurzen Pause kam dann die Mannheimer Sängerin Joy Fleming mit einer fünfköpfigen Band auf die Bühne. Manch einer mag sich über die im Vergleich zu »Almanach« große Lautstärke gewundert haben. Soul-und »Black Music«-Liebhaber kamen aber bei dem 70minütigen Konzert der 45jährigen voll auf ihre Kosten.
Die füllige Sängerin ist seit den späten 60er Jahren im Geschäft. Zu Anfang ihrer Karriere tingelte sie mit »Joy and the Hit Kids«, später mit »Joy Unlimited«, durch die Kneipen von US-Soldaten. Der »Neckarbrücken Blues« wurde 1972 ein Riesen-Hit, der nicht nur musikalisch, sondern auch thematisch den schwarzen Blues atmosphärisch treffend ins Kurpfälzische übertrug.
Die Geschichte vom »Kall, der schon widder niewwer iewwer die Brück zu der annere« ist, wird Joy Flemming nie wieder los; auch in der Listhalle sang sie diesen Titel, aber nicht mit besonders viel Engagement.
Offensichtlich, und das kann man auch nur zu gut verstehen, fühlt sich die Sängerin mehr im Rhythm 'n' Blues, im Soul und Blues zu Hause, als im deutschsprachigen Schlagerbereich. Neben Blues-Adaptionen wie »Oh Karl« oder dem Fetzer »Ich sing fürs Finanzamt« gab's ein herausgeröhrtes und packendes »Oh Darling«, im Original von den Beatles, oder »Superstitious« von Stevie Wonder zu hören.
Besonders bei den Coverversionen bereits bekannter Titel anderer Künstler wurde deutlich, wieviel Joy Fleming kann, wenn sie darf: Vom gutturalen Schnurren bis hin zu ekstatischen, kraftvollen Diskant-Tönen reicht ihre Ausdruckspalette, die Intonation ist spielerisch sicher, das Rhythmusgefühl perfekt.
Chris Reas »On the beach« gefiel in der Fleming-Version besser als das Original; Roberta Flacks »Killing me softly« hat man gelten so ausdrucksstark gehört. Große Soul-Namen fallen einem ein, wenn man Joy Fleming hört: Die Sängerin ist näher an Kolleginnen wie Patti LaBelle oder Mavis Staples, als es Musikmanager und Publikum wahrhaben wollen.
Die Anerkennung, die ihr gebührt, hat Joy Fleming selten bekommen: Solange das Publikum schwarze Musik nur dann akzeptiert, wenn sie von Künstlern dunkler Hautfarbe gemacht wird, haben es weiße Musiker, selbst wenn sie noch so gut sind, überaus schwer.
Bei Joy Fleming kommt die Zweigleisigkeit im Karriere-Aufbau dazu: Wer deutschsprachige Schlager und Chansons hört, geht in der Regel nicht in Soul-Konzerte, und umgekehrt. Aber egal: Das Publikum in der Listhalle freute sich, daß Joy Fleming da war, und die freute sich über den stürmischen Applaus.
Der kam nicht nur für die Musik: Die Sängerin suchte ohne Allüren den direkten Kontakt zu den Zuhörern, riß jede Menge Witze und umflirtete heftigst einen gewissen Peter in der ersten Reihe. Peter durfte auf der Bühne mitsingen, genau wie Diane Gebhardt von »Almanach« auch. Bei der ersten Zugabe holte Joy Fleming die Vorgruppe zu einem gemeinsamen »Tutti Frutti« auf die Bühne. Da wurden dann die Unterschiede zwischen Folk und Soul deutlich..
Wieviel die exzellente »Black Music«-Sängerin für die Kollegen von der Schlagerbranche übrig hat, war nach den witzig-treffenden Parodien von Peter Hoffmann, »Roy Blech« und »Wenke Möhre« jedem klar. Mit aufgeblasenem Pathos und weißgewandetem Schmalz hat die energiegeladene und herzliche »Joy aus Mannem« nichts im Sinn. »Die einzige deutsche Soulinterpretin von Rang», war vor 15 Jahren in einem Lexikon über sie zu lesen. Viel Konkurrenz hat Joy Fleming auch heute noch nicht. (mpg)
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