»Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht. Wo das Gelehrte beginnt, hört das Politische auf.«
»Während der Arbeit an diesem Programm habe ich beim Studium hinter der oft schweren Sprache des Dichters deren Gewalt und Gestaltungskraft entdeckt. Ich fand Aktualitäten und erfuhr Spannendes über den Menschen Friedrich Schiller, seinen Humor, seine Lebensfreude, seine Zweifel, seine Ideale. . .«, meint der Schauspieler und Rezitator Rolf Berg zu dem Programm mit Schiller-Texten, das sich kaum 20 Zuhörer am Sonntagabend in der »Tonne« anhörten.
Dem 32jährigen ehemaligen LTT-Ensemblemitglied Rolf Berg ist es ohne Zweifel gelungen, die in Schillers Werk gefundene Vielfalt ohne Verluste ans Publikum zu bringen: Poetisches reiht sich an Philosophisches, Klamauk (»Körners Vormittag«) wechselt mit Texten, die tiefste Verzweiflung ausdrücken, Ausschnitte aus den Stücken stehen neben den scharfsinnigen, im »Musenalmanach« veröffentlichten »Xenien«.
Dazu las Thomas Zentawer, der die musikalische Begleitung mit einem Synthesizer übernahm, zwei »Vorworte«, deren Inhalt eine kurze Biographie Schillers war.
In dem 90minütigen Programm gab es Gedichte wie »Die Hoffnung«, »Resignation« oder »Sehnsucht« zu hören, Ausschnitte aus den »Räubern« und »Kabale und Liebe« sowie Briefe des Dichters.
An seinen Freund Johann Gottfried Körner, Konsistorialrat in Leipzig, schreibt Friedrich Schiller im Januar 1788 über seinen Beruf: »1. Ich muss von Schriftstellerei leben, also auf das sehen, was einträgt. 2. Poetische Arbeiten sind nur meiner Laune möglich; forciere ich diese, so missraten sie. Beides weißt Du. Laune aber geht nicht gleichförmig mit der Zeit — aber meine Bedürfnisse. Also darf ich, um sicher zu sein, meine Laune nicht zur Entscheiderin meiner Bedürfnisse machen…
Rolf Berg hat bei Lutz Görner, Deutschlands wohl bekanntestem Rezitator, gelernt. In dessen »Reziteater«-Verlag ist auch eine Cassette mit dem Schiller-Programm erschienen; hier kann Berg noch besser als auf einer Theaterbühne seine Qualitäten vermitteln: Seine Sprechweise ist akzentuiert und immer auf den Text konzentriert, ohne deswegen an Leben zu verlieren.
Berg gibt jeder einzelnen Figur in ihrer Stimme klangliche Eigenheiten, und er beherrscht es hervorragend, allein mit seiner Stimme die verschiedensten Stimmungen beim Zuhörer zu erzeugen.
Besonders in den Ausschnitten aus den »Räubern« und »Kabale und Liebe« zeigt sich, dass Berg noch mehr kann: Hier glauben sich die Zuhörer nach wenigen Worten mitten im Stück, so gut spielt der Rezitator einen düsteren Moor. Der Hofmarschall von Kalb wird durch die überzogene, affektiert-selbstverliebte Sprachmodulation, die Berg ihm gibt, noch unerträglicher, als er sowieso schon ist.
Die lockere und humorvolle Art, mit der Rolf Berg die Texte auswählt und präsentiert, ohne dabei den Respekt vor dem Wort zu verlieren, lässt das Schiller-Programm, mehr noch als die Produktionen mit Tucholsky- und Heine-Texten, geradezu für ein junges Publikum gemacht erscheinen. Die musikalischen Miniaturen von Zentawer tragen mit dazu bei, dass auch jemand, der mit Schiller nichts im Sinn hat, einen großen Dichter entdecken kann.
Die wenigen Besucher in der »Tonne« waren von dem Abend mit Schiller-Texten hörbar angetan; als Zugabe gab es eine Schiller-Parodie von Heinz Erhardt.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 27. März 1990
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