Dienstag, 4. Dezember 1990

Lola Blau: Die Geschichte einer Ohnmacht

»Heute abend: Lola Blau«, ein Musical für eine Schauspielerin von Georg Kreisler, hat am nächsten Donnerstag, 6. Dezember, 20 Uhr, Premiere im Reutlinger Theater in der Tonne. Darstellerin ist Tonne-Intendantin Ewa Teilmans, die von Günther Sopper am Klavier begleitet wird. Die Regie des Musiktheaterstücks hat Michael Chaim Langer übernommen.
»Lola Blau«, 1971 in Wien im Theater in der Josefstadt uraufgeführt. erzählt mit Liedern die Geschichte einer jungen jüdischen Schauspielerin: 1938 wird mit der Machtergreifung der Nazis der Traum einer Karriere in Österreich zerstört, das erste Engagement wird ohne Gründe vom Theater abgesagt. Lola versteht in ihrer Naivität nicht, warum ihr Onkel und ihr Freund Leo in die Schweiz flüchten wollen, geht aber mit.
Ihre Verabredung mit Leo in Basel platzt, er ist schon von der Gestapo geschnappt worden. In der Schweiz hält sich die Schauspielerin bis zur Ausweisung als Nachtclubsängerin über Wasser. Im letzten Moment erhält sie eine Einreisegenehmigung in die USA. Dort gerät sie nach Tingeleien durch schäbige Nachtclubs in die Starmaschinerie und wird berühmt. Der Starrummel macht Lola so zu schaffen, daß sie ihre zunehmenden Depressionen mit Alkohol und Tabletten zu ertränken versucht.
Ihren Freund Leo liebt sie immer noch, die Sehnsucht nach ihm wächst. Als er sie nach Kriegsende, aus dem Konzentrationslager befreit, anruft, verzichtet sie auf die Karriere in den Vereinigten Staaten und kehrt nach Wien zurück. Als sie dort sieht, daß die Menschen weitermachen, als sei nichts geschehen, wendet Lola sich vom Schlager ab und dem Kabarett zu. Ihre Naivität ist einem politischen Bewußtsein gewichen. Zweifel an der Wirksamkeit ihrer künstlerischen Mittel kommen auf, als sie erfährt, daß ihr Freund schon wieder als »Saujud« beschimpft wurde.
Michael Chaim Langer, bis vor kurzem am LTT tätiger Schauspieler und Inspizient, hat das schon an vielen Theatern erfolgreiche Musical inszeniert, weil ihn »das Schicksal einer Künstlerin interessiert, die aus ihrem Land herausgerissen wird«. Der Regisseur, der mit der Gruppe »Jontef« unter dem Titel »Wenn der Rabbi singt« jiddisches Liedgut präsentiert, ist selbst jüdischen Glaubens und »weiß, wie das ist, wenn man sich in verschiedenen Ländern anpassen muß«.
»Dieses Stück hat sich sehr jung gehalten«, wundert sich der ehemalige musikalische Leiter des LTT, Günter Sopper. Verantwortlich dafür macht er die Vielfalt an Tanzrhythmen, die Georg Kreisler verarbeitet hat. Obwohl viele Schlager zu hören seien, seien die Texte »sehr virtuos, vielschichtig und von tiefer Bedeutung«.
»Lola Blau paßt in den aktuellen Spielplan. Die Außenseiterproblematik zieht sich durch unser ganzes Programm dieser Spielzeit«, sagt Intendantin Ewa Teilmans. Um ihr mit zwei Stücken voll beschäftigtes Ensemble zu entlasten, habe sie selber die Rolle der Lola übernommen. Thomas Mai, Hermann Killmeyer und Regisseur Langer leihen ihre Stimmen den Herren Berger, Schmidt und Novak. Dem Regisseur assistiert hat Francesco Mammone, für die Bühnengestaltung sind Jo Winter und Dietmar Beck zuständig, für die Kostüme Karin Busse.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 04. Dezember 1990

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