Freitag, 14. Juni 1991

Peter Grohmann: Wie weit ist es von Stasi zu Aldi?

Ein handbesticktes Deckchen aus dem Erzgebirge auf dem Tisch, Lenin-Büste und Original-Wimpel »25 Jahre Einheit der Arbeiterklasse« dazu, zwei Deutschlandfahnen an der Wand — im überfüllten Bad Uracher Programmkino »forum 22« des Stadtjugendrings gab es Kabarett statt Kintopp.
"Vom Stasi zum Aldi" heißt das Programm des Stuttgarter Kabarettisten, Schriftstellers und "Theaterhaus"-Mitbegründers Peter Grohmann. 90 Minuten lang hörten die Besucher Gedanken zur Welt und zur deutschen Einheit im Allgemeinen (zur »deutschen Seele« im Speziellen) und erlebten einen reich mit Einfällen, Spielfreude und Humor gesegneten Künstler.
Die Spielregeln im goldenen Westen verdeutlichte Grohmann gleich zu Beginn: Er bat eine Zuchauerin, ihm Wein nachzuschenken — gegen Bezahlung, versteht sich. Fähnchenschwenker, Ordner, Mit-Esser (Grohmann verspeiste einen »Goldbroiler«) — alle waren sie gekauft und freigiebig bezahlt mit harter gesamtdeutscher Währung. Dann wurden alle vereidigt: »Ich gelobe, ohne Ansehen von Sitz und Stimme, ohne Rücksicht auf Verluste an der Macht zu bleiben . . . So wahr mir Gott helfe, das walte Ulbricht«.
»So fing das an mit dem Stasi und dem Aldi«, meint Grohmann und erzählt »Deutsche Geschichten«, von der »Stunde der Nullen« bis hin zur Vereinigung. Alles gereimt, gerafft, 40 Jahre im kabarettistischen Überflug.
»Im Osten geht die Sonne auf, im Westen geht sie unter. Der Ulbricht zieht die Fahne rauf, der Konrad zieht sie runter«, heißt es in den ersten Zeilen, und später: »Wenn einer hungert, dürstet, schreit, Mensch — reich ihm einen Zehner! Mit Spendenquittung geht's weltweit, die Deutsche Bank macht's uns bequem. Wenn einem mal die Seele quietscht, geht er zur Krankenkasse. Wir bauen unser öko-Haus, wir sind die neue Klasse.«
Die Waffen aus dem ehemaligen DDR-Schmiede in Suhl seien genauso deutsche Präsionsmaschinen gewesen wie die West-Ware aus Oberndorf — und Geld haben sie natürlich auch eingebracht. Allerdings mußten erst Wessis mit ihrem alles übertreffenden »Knoff Hoff« kommen, um zu merken, daß das Gift in Ost-Ampullen verschwenderisch und marktwirtschaftlich uneffektiv überdosiert war...
Immer geht's um Geld, und das geht Grohmann gewaltig auf den Wecker: »Da hat doch die Friedensbewegung 500 000 Buttons »Kein Krieg für Öl« bestellt, in Holland, da sind sie billiger — und plötzlich macht dieser Schwartzkopf »Krieg aus« und alle bleiben sie auf ihren Ansteckern sitzen.«
Neue großdeutsche Phantasien — »Und was ist mit Rußland? Die sagen doch eh' alle ja, wenn man sie fragt . . Die Chinesische Mauer als neue Deutsche . . .« kriegen ebenso ihr Fett ab wie kühle, sachbezogene »Professionalität«: Kein kabarettistischer Scherz war jener Brief ans Schulverwaltungsamt, in dem Grohmann vom Hungertod bedrohte Kinder nach Stuttgart einladen will, »damit sie einmal ein wenig christliche Nächstenliebe bekommen«.
Der Künstler fragte nach, ob man die Kinder nicht in Turnhallen unterbringen könnte. Die Bitte mußte der Amtsleiter abschlagen: »Dies würde den Schulbetrieb erheblich einschränken, da der Sportunterricht ausfallen müßte«.
Blieb den Besuchern bei solchen und ähnlichen Szenen das Lachen im Halse stecken, lachten sie immer wieder Tränen über den hinreißenden Nonsens, den Grohmann virtuos mit dem bitteren Ernst eines zweifelnden Humanisten verband.
Im »Literaturwettbewerb« beklagt Grohmann, daß er noch nie mit einem Gedicht den berühmten Kasten Bier gewonnen habe. Wo doch die Zeilen wirklich dicht gereimt waren: »Der Brauerei die Hähne rotzen, wenn nicht alle Hofbräu kotzen«. Die »neuesten Nachrichten« vermelden, daß der Papst in Rom »dem Stuttgarter Künstler Konrad Kujau zu dessen Verdiensten um die Heilige Schrift gratulierte«.
Und damit das Publikum nicht nur dasitzt und lacht, darf es selber zu vorgegebenen Zeilen reimen — auch das gegen Bezahlung. Auf diese Weise entsteht gar höchstkarätige Spontanpoesie: »Kein Wald ohne Baum«, sagt Grohmann, »kein Kalb ohne Traum«, kontert einer.
Peter Grohmann verbindet nahtlos die Tradition von Ringelnatz oder Morgenstern und aufklärerisches Kabarett, springt vom einen Thema zum anderen, vom Allgemeinen zum Persönlichen.
Souverän beherrscht er die Sprache, seine Darstellung ist nie Selbstzweck, sondern dient immer den Inhalten. Wie jeder gute Kabarettist weiß Grohmann kein Patentrezept für eine bessere Welt: »Die Moral von der Geschichte, gibt das Kabarett dir nichte. Setz' dich selber hin und dichte!«.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 14. Juni 1991

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