Vor rund 40 Zuhörern las der frischgebackene Thaddäus-Troll-Preisträger 1992 Thommie Bayer aus seinem Roman "Spatz in der Hand"
Die knapp zweistündige Veranstaltung in der Reutlinger Stadtbibliothek war zweigeteilt; Bayer hatte seinen alten Freund Thomas C. Breuer mitgebracht, der aus seiner Textsammlung »Cafe Jähzorn« ein paar Arbeiten vorstellte.
Bayer entschuldigte sich zunächst, dass das mit dem Vorlesen gar nicht so einfach sei — er wolle nämlich niemanden erröten lassen. So beschränkte sich der Ex-Tübinger, der vor einem Jahrzehnt mit respektablem Publikumserfolg als rockender Liedermacher »den letzten Cowboy von Gütersloh« oder »feindliche Gebiete« besang, auf Passagen, in denen die Protagonisten des im Frankfurter Eichborn-Verlag erschienenen Buchs vorgestellt werden.
»Spatz in der Hand« erzählt in lockerem Jargon die verwickelte Liebesgeschichte zwischen Sabine und Carl. Die Fernsehredakteurin und der freie Publizist lernen sich im Hotel kennen, wohin Sabine wegen eines Krachs mit ihrem Mann geflüchtet ist. In vier Telefongesprächen flirten sie zunächst, um's dann später mit Telefonsex zu probieren.
Carl bekommt beruflich mit Frau Dr. Kahlen zu tun, nicht wissend, dass sie und Sabine ein und dieselbe Person sind. Zusammen entwickeln sie ein Drehbuch, das sie beide an ihrer eigenen Lovestory entlang aufziehen. Am Ende der 224 Seiten des Buchs versichern beide sich ihrer Zuneigung.
Einmal abgesehen davon, daß Thommie Bayers Typen plastisch und genau beschrieben sind, und dass er in einem Absatz, wo es um eine Kabarett-Tournee Carls mit seinem Freund Christian geht, einen wirklichkeitsnahen Einblick in die Praxis der Reutlinger Kulturrezeption gibt, ist »Spatz in der Hand« ziemlich banal.
Was die Stärke der »Thommie Bayer Band« war — den unspektakulären Alltagswahnsinn zu beschreiben — entpuppt sich beim Schriftsteller Bayer eher als Schwäche. Endlos geht das Geplänkel zwischen Carl und Sabine hin und her, endlose detailversessene Beschreibungen von äußerlichen wie innerlichen Befindlichkeiten erdrücken die gut erdachte Geschichte — die sicher Stoff für einen interessanten Fernsehfilm hergäbe. In »Spatz in der Hand« lässt Bayer, im Jargon gesagt, seine Figuren viel zu lange labern.
Thomas C. Breuer, Schauspieler, Autor und Kabarettist mit Wohnsitz in Heidelberg und gemeinsamer Vergangenheit mit Bayer (»Vor 15 Jahren haben wir die Jugendzentren hier in der Gegend unsicher gemacht«) erntete für seine skurrilen Geschichten aus »Cafe Jähzorn« — eine Sammlung verschiedener Texte, von Breuer als »Best of« bezeichnet — viele Lacher.
Er zeigte einen Menschen, der vor allen und allem »Angst« hat und war mit einem Text zur »gelben Gefahr«, wo er nur mit japanischen Markennamen richtige deutsche Sätze konstruierte, hinreißend komisch.
Gegen die »Ernst-Guerilla« las er ein flammendes Pamphlet, Städte Baden-Württembergs montierte er zur Textcollage: »Gottes Mühlackern schneller in Wertheim«, hieß es da beispielsweise.
»Wie hätte Napoleon auf Fruchtzwerge reagiert? Wie hätte Kant über Walter Jens gedacht? Hätte James Dean sich angeschnallt? Hätte Jesus Franz Alt aussehen lassen?« — Mit einem Katalog existentiell wichtiger »Anfragen« entließ Thomas C. Breuer die Besucher der Stadtbibliothek.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger , 15. Oktober 1992
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