Wiehernd wischten sich die Zuhörer die Lachtränen aus den Augen, zwei »Zugaben« mußte und wollte der Autor geben. Eckard Henscheid, Autor, Satiriker und Kritiker aus Frankfurt, unterhielt sein Reutlinger Publikum im Haus der Jugend bestens. Eingeladen zu der mit 100 Zuhörern hervorragend besuchten Lesung hatte der Förder- und Trägerverein des (schon lange nicht mehr existierenden) Jugendzentrums Lichtenstein.
Aus einer abgegriffenen Plastiktasche holte Henscheid ebenso abgegriffene lose Druckseiten seiner Bücher, und begann im Ton eines enorm beschlagenen, aber auch enorm gelangweilten Germanistikprofessors zwei Stunden lang zu lesen.
Daß des Autors Stimme im lauten Haus der Jugend nur schlecht zu verstehen war, störte niemanden. Die meisten kicherten eh' schon zwei Zeilen vor dem Witz — das völlig durchgedrehte Saufgelage im Hause eines beredten Teppichhändlers aus »Geht in Ordnung, sowieso, genau« kannten die meisten der Hörer offensichtlich.
Henscheids neues, im Haffmanns-Verlag erschienenes Buch »Kleine Poesien« und die folgende, vom Umfang her große Kritik Hellmuth Karaseks war dem Autor Anlaß, pointiert zu vermitteln, daß der »Spiegel«-Kritiker ihn nicht richtig verstanden habe.
Den anderen Buchstaben-Experten, Marcel Reich-Ranicki, führte Henscheid ebenfalls vor: Er las, den berühmten Buchkritiker auch phonetisch ziemlich genau treffend, einen Text, der mit Ranicki-Zitaten verwoben war. »Ich hab' ihn heute morgen noch getroffen und mir seinen Segen geholt«, spöttelte Henscheid.
Immer wieder, das ist ein roter Faden in seinen Büchern und war auch einer der Lesung im Haus der Jugend, nimmt Henscheid Banales und läßt es durch die Wahl seiner Worte wichtig erscheinen — und oft ins Lächerliche abkippen. Das ist auch in »Der Verleger H.« so: In diesem Text schildert der Autor »in enigmatisch-symbolischer Form die Schwierigkeiten zwischen Schriftsteller und Verleger« — und bietet das Werk, das sich als Kriminalroman entpuppt, »für 1200 Mark plus Mehrwertsteuer« auch dem Reutlinger Publikum an.
»Ich bin gerne bereit, Fragen zu beantworten. Es muß aber nicht mit Gewalt sein«, meinte Henscheid am Ende der Lesung — und trug drei kleine Nonsens-Gedichte seiner »Titanic«-Kollegen Robert Gernhardt und F. W. Bernstein vor.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 02. Dezember 1992
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