Donnerstag, 5. November 1992

Linton Kwesi Johnson: Keine Reggae-Revolution

Um den Reggae-Poeten Linton Kwesi Johnson, geboren in Jamaika und in England lebend, ist es in den letzten Jahren ruhiger geworden. Von 1983 bis 1990 hat der politische Dichter, der seine in lautmalerischer Sprache aufgeschriebenen Verse zu monoton-hypnotischen Reggae-Klängen in einer Art Sprechgesang vorträgt, keine Schallplatte mehr produziert. Und bei vielen Reggae-Hörern ist politisch-gesellschaftliche Sensihilität dem sinnlichen puren Tanzerlebnis gewichen.
Mit einer neuen Platte im Gepäck gastierte der wie immer tadellos gekleidete Johnson in diesen Tagen in der Mensa Wilhelmstraße in Tübingen. Mit dabei waren sein langjähriger musikalischer Partner Dennis Bovell am Baß und dessen fünfköpfige »Dub Band« mit zwei Tastenspielern, Schlagzeuger, Perkussionist und Gitarrist.
Die heizte den zahlreichen und verblüffend jungen Fans zunächst eine halbe Stunde lang mit sparsamen Roots-Reggae-Klängen ein. Linton Kwesi Johnsons Auftritt wurde dann stürmisch bejubelt; die frenetische Stimmung hielt das ganze zweistündige Konzert über an.
Johnson machte da weiter, wo seine letzte Platte »Making History« aufgehört hat; der Themenschwerpunkt seiner Dichtkunst hat sich allerdings leicht verlagert. Statt zur Situation der schwarzen Bevölkerung in Großbritannien reimt Johnson heute ironisch über seine »revalueshanary fren«, seine »revolutionären Freunde«: »Honecker — he had to go«, singt er da und freut sich in einer Ansage über die umwälzenden Zeiten, die er miterleben darf.

Im Tübinger Konzert stellte er auch die anderen Songs der neuen Platte vor: »Story«, das Titelstück »Tings an' times« oder auch »Di anfinished revalueshan«. Dazu kamen ein paar seiner Hits, wie »Street 66«, »Reggae fi radni« oder »Making history«.
Die Band tuckerte exakt und mit ihren Mitteln sparsam umgehend vor sich hin; die schönen Bläsersätze kamen leider aus dem Keyboard und nicht aus entsprechenden Instrumenten. Musikalisch greift Dennis Bovell auf schon einmal von ihm Gehörtes zurück, vermischt es mit neuen Phrasen und hat das musikalische Konzept noch weiter gestrafft.
Das gefiel den vielen tanzenden Teenagern ganz ausgezeichnet: Als die Musiker nach relativ langen zwei Stunden (hei seinem letzten Stuttgarter Gastspiel rezitierte Johnson nur knapp eine Stunde) die Bühne verließen, herrschte lautstarkes und langanhaltendes Wehklagen seitens des Puhlikums.
Erst als der Disjockey seine Plattendreher anwarf und Bob Marleys »Jammin« aus der ausgezeichneten Tonanlage schallte, konnten sie mit dem weitermachen, weswegen sie gekommen waren: Zum folgenden Tanzvergnügen kamen zusätzlich viele Leute in die Mensa. (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...