Mittwoch, 5. Mai 1993

Egberto Gismonti: Fein verzahnte Saitentöne

Das Publikum im vollbesetzten Tübinger »Foyer« jubelte, als ob's leichtverdauliche Popmusik gehört hätte. Dabei stellt die Musik des brasilianischen Gitarristen Egberto Gismonti hohe Anforderungen an die Zuhörer.
Der Gitarren-Verrückte — seine verschiedenen Edelinstrumente läßt er bei Ramirez, Hopf und Adams nach eigenen Entwürfen fertigen, die Fingernägel trocknet er mit Gips und macht sie dadurch härter — und seine drei Mitspieler lieferten ein sehr leises, sachtes Konzert ab — in dem die wenigen »Forte«-Stellen dann umso akzentuierter klangen.
Ständig wiederholte, einfache Motive ergaben im Gruppenklang reizvolle Klangschichtungen. Cellist Jacques Morelenbaum gelangen an brasilianisches Perkussionsinstrumentarium erinnernde Töne, der zurückhaltende, aber exzellente Gitarrist und Synthesizer-Spieler Nando Carneiro zupfte sein Instrument so, daß es gar manchmal nach einer Guica — das ist eine in Stimmung und Obertonverhalten sehr variable Trommel - klang. Am unauffälligsten wirkte die raffinierte Arbeit von Zeco Assumpcao am Kontrabaß.
Der Meister selbst quittierte den von Anfang an frenetischen Beifall — Landsleute von ihm hatten sogar eine brasilianische Flagge mitgebracht — mit kurzem Kopfnicken und konzentrierte sich voll auf sein Instrument.

Obwohl Fans um seine spieltechnische Meisterschaft wissen — Flageolett-Töne läßt er wie kaum ein anderer sprudeln — , blieb vor allem bei einem Solo vor der Pause manchem die Spucke weg. Ganz locker spielte der Mann da im Diskant aberwitzige, rasend schnelle Läufe — und ließ dazu in tiefen Lagen den Baß in einem ganz anderen Zeitverhältnis blubbern.
Die Mischung aus europäischen wie brasilianischen Musiktraditionen zusammen mit einer kräftigen Portion Jazzfeeling kam beim Tübinger Publikum an wie immer. Gismonti ist nicht zum ersten Mal vom »Zentrum Zoo« in die Unistadt geholt worden, hat auch nichts bahnbrechend Neues zu Ohren gebracht und doch allen ein musikalisches Erlebnis geschenkt.
Das war besonders schön, weil der Mann am Mischpult (mal wieder) technische Kompetenz zeigte und seine vielen bunten Knöpfchen so bediente, daß einem die dezente Verstärkung gar nicht groß auffiel. (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...