Um zehn Uhr öffnet der Bürgermeister das Fest, um fünf wird der Ministerpräsident erschossen - es war die Idee der Vereinsjugend, zum Jubiläumswochenende einen Bürgerkrieg anzubieten. Sonst ist ja nix los - »und schließlich ist Krieg ja auch ein Forum von Kommunikation«.
Johann Christof Stolle hatte für sein viertes Kabarettprogramm die glänzende Idee, alltäglich wiederkehrende Kriegs- und andere Zynismen im Rahmen eines vertrauten »Festwochenendes« zu spiegeln. Der Kabarettist aus München spielte sein viertes Programm in Reutlingen zum allerletzten Mal - vor einem gefesselten und wohl auch betroffenen Publikum...
Sein Gastspiel zum Abschluss der diesjährigen Kleinkunsttage war ein Höhepunkt nicht nur der Kabarettabende des »Rappen«: Satire pur, überaus vielschichtig erdacht, bitterböse und fein formuliert immer treffend.
»Bei dem weiß ich gar nicht, ob ich wirklich lachen darf«, meinte eine Zuhörerin in der Pause - großes Kompliment für Stolle, der mit großem schauspielerischem Können nicht auf platte Lacher setzt, sondern auf die manchmal verzögert einsetzende Wirkung seiner Worte.
Die ist heftig, wenn der Kabarettist über Pauschal-Abenteuerurlaube zum Uno-Hilfskonvoi nachdenkt oder als Kriegsberichter erkennt: »Stell dir vor, es ist Krieg und keiner schreibt mit…«
An der Schreibmaschine - der Leitartikel »Wie hat es soweit kommen können?« wartet darauf, geschrieben zu werden - , kommt der Mann ins Fantasieren: »Letztendlich ist so ein Bürgerkrieg ja gar nicht so schlecht, ein Selbstreinigungsprozess gewissermaßen, die Schlacke wird verheizt ...«
»Schreib' mal wieder 'nen Bekennerbrief« —-zwischendurch singt Stolle zur Gitarre tiefschwarz-witzige Moritaten. Aber aus einem umfassenden Bürgerkrieg kann nichts werden: »Wir Deutsche sind nicht für Revolutionen zu haben, wir machen hier Pogrome.«
Vom "sehr guten Dernierenpublikum" im fast schon überfüllten Rappenkeller bekam Stolle nach einer deutlichen Atempause viel Beifall für seinen künstlerisch so überzeugenden Rundumschlag. Die Bitte nach einer Zugabe musste er abschlagen: »Da bin nicht ich schuld, das steht so im Text, der Autor, wissen Sie…«
Autor: Martin Gerner
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