Sean Connery wieder mal als weiser und gewitzter Streiter für die Aufklärung: Als frühpensionierter Kriminalbeamter und Japan-Fachmann klärt er in Philip Kaufmans »Die Wiege der Sonne« mit bekannt mönchischer Ruhe einen höchst verwickelten Mord im Wirtschaftsmilieu eines japanischen Großkonzerns, Filiale USA.
Der charmant-coole Highlander, in der edel abgelichteten Literaturverfilmung (Buch: Michael Chrichton) mit Bart und eisgrauem Haupthaar zu sehen, ist der Sempai, der alte Mann, der den jungen Kohai unterweist - und dieses Verhältnis kennzeichnet nicht nur die Rolle des (tadellos agierenden) Wesley Snipes als junger Ermittler, sondern ein wenig auch das Verhältnis der Spieler: Connery ist der Star, der alle überstrahlt.
Ach so: »Ausführender Produzent« des über zwei Stunden locker tragenden Films war er auch noch.
Dass der Mann im Vordergrund steht, macht gar nichts, weil seine Leistung, besonders was Mimik angeht, exzellent ist – und sein Charisma zwingender denn je.
Dazu kommt eine wirklich fesselnde Story, bei der glatt Patricia Highsmith als Psychospannungs-Beraterin mitgewirkt haben könnte – bis ganz zum Schluss können selbst Zuschauer, die die komplizierten Verwicklungen, Codes und Regelverletzungen entwirrt haben, das Rätsel vom Mord an der sexuell leicht pervertierten Schönen nicht lösen.
Die vielen Fragen, die japanische Traditionen und Lebensgewohnheiten in westlichen – speziell US-amerikanischen – Augen aufkommen lassen, werden dem jungen schwarzen Polizisten immer klarer. Auch, dass es wenig Antworten außerhalb üblicher Etikette geben kann: Sehr wahrscheinlich, dass der West-Mensch Nippon nie ganz verstehen wird.
Die Botschaft des Alten an die unreifen Kohais auf der Leinwand wie im Kinosessel ist deutlich, aber – weil Connery immer wieder mit viel feiner Ironie Brüche entstehen lässt - nicht moralinsauer: Aufmerksamkeit und Respekt vor- und füreinander machen das Leben leichter und länger.
»Man muss die Tür des Käfigs offen lassen, damit der Vogel zurückkommen kann«, sagt der Weise am Anfang, und ganz zum Schluss die schöne Video-Computerexpertin zum jungen Ermittler. Seinen Wunsch nach einem Schäferstündchen weist sie ab, weil Sempai Connery sie still und heimlich seit Film-Jahren schon durchs Leben führt – und lässt die Haustüre offen…
Damit es keine Missverständnisse gibt: »Die Wiege der Sonne« ist kein wortlastiger, statischer Film, sondern ein moderner Kriminalfilm garniert mit den üblichen Zutaten – in diesem Fall abgedrehter Sex, Action-Prügelstunts wie zu besten Bond-Zeiten und modernste Technik. Zum Stichwort »Videomanipulation per Computer« liefert der Thriller recht genau den Stand der Dinge und fantastische Bild-Demonstrationen noch dazu.
Aber weil das Produktionsteam neben dem Pflichtprogramm eben noch eine Kür mit Tiefgang absolviert hat, ragt »Die Wiege der Sonne« aus der Masse hervor.
Autor: Martin Gerner
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