Auch in Tübingen ging's zweieinhalb Stunden lang in die gute alte Jazzrock-Zeit zurück. In die Zeit, wo Musiker noch ihr Können in ellenlangen Soli demonstrierten, wo »Art-Rock« ganz hoch im Kurs stand und ein Stück auch mal gern eine ganze Plattenseite lang sein durfte. Jon Hisemans bombastischer Schlagzeug-Aufbau mit einem runden Dutzend Becken und mehreren Gongs wird ebenso mit befriedigter Miene zur Kenntnis genommen wie die Original-Hammondorgel von Dave Greenslade. Und als Clempson später auf der Gitarre mehrmals zu weitreichenden Soli ansetzt, ist für die Fans klar. Die alten Jazzrock-Helden haben nichts verlernt.
Was damals galt, stimmt heute noch. Die Kritiker lobten an »Colosseum« die große Gruppendynamik, die an Artistik grenzenden spieltechnischen Fähigkeiten der Musiker und die »klassische« Ausgefeiltheit der Kompositionen. All das ist auch im Tübinger Konzert wiederzuhören: Es braucht nicht erst das Paradestück der Band, die dreiteilige, monumentale »Valentyne Suite«, damit die alten (und auch ein paar junge, neue) Fans aus dem Häuschen sind.
Nicht mehr und nicht weniger als ein »Best-Of «-Programm liefern die Musiker. Neben der zentralen Suite gibt es ein »For Those About To Die Salute You« zu hören, den »Stormy Monday Blues« ganz am Ende als Zugabe — und zwischendrin »Colosseum«-Klassiker wie »Skelington« satt. Nur zwei Fremdkompositionen — von Jack Bruce — spielen die sechs. Ansonsten bleibt alles beim Alten.
Jon Hiseman bedient die Doppel-Fußbaßtrommel verschwenderisch, veranstaltet in seinem umjubelten Solo sage und schreibe 17 Minuten Powerplay. Greenslade läßt die Orgeltöne ellenlang stehen, improvisiert sparsam um die Grundtöne herum. Clempson hleibt, wenn er nicht gerade ein Monster-Solo spielt, vornehm im Hintergrund, Saxer Dick Heckstall-Smith liefert genau die manierierten Beiträge, die schon 1970 bei den Fans umstritten waren. Sein gleichzeitiges Spiel auf Tenor- und Sopransax mag zwar spektakulär aussehen — eine musikalische Offenbarung ist es indes nicht.
So gab's bei diesem Kurztrip in die »gute alte Jazzrock«-Zeit wenig Überraschungen, weder positive noch negative. Lediglich die Ausdrucksfähigkeit und Kraft, die sich Sänger Chris Farlowe über die Jahre erhalten hat, mag erstaunen. Er röhrt wie ein ganz Junger und trägt wesentlich zu dem guten Gesamteindruck dieses Konzerts bei. (mpg)