Es war ohne Frage das Reutlinger Jazz-Ereignis des Jahres, das Gastspiel der Cool-Jazz-Legende Lee Konitz am Dienstag in der »Mitte«. Einen Star von solchem Kaliber hat der Club in seiner 32jährigen Geschichte nur selten anbieten können. Wie schön, daß die Reutlinger Jazzliebhaber wenigstens diesmal das angebotene Top-Konzert nicht wie in der Vergangenheit - zum Beispiel, als Ray Brown oder die kubanische Spitzenformation »Irakere« hier gastierten - verpennten: Der Keller in der Gartenstraße war schon lange vor Konzertbeginn bestens gefüllt. Und weil's das einzige Konzert von Lee Konitz zusammen mit dem deutschen »Oliver Strauch Quartett« in Südwestdeutschland war, lagen der »Mitte« selbst überregionale Kartenanfragen vor. Wie gesagt: Ein Ereignis.
Ein ziemlich unspektakuläres, da waren sich wohl — nach zwei 55-Minuten-Sets und einer langen Pause dazwischen — die meisten Zuhörer einig. Der 68jährige Altsaxophonist, der neben dem Pianisten Lennie Tristano der bedeutendste Innovator des Cool-Jazz der 50er Jahre war, wirkte zwar sehr konzentriert, aber nicht sehr engagiert. Fast eineinhalb Stunden lang stand Konitz mit versteinerter Miene auf dem Podium, bis ihm mal ein kurzes Lächeln übers weißbärtige Gesicht huschte: »Mr. Cool« schaute oft drein wie einer, der arbeiten muß, obwohl er lieber etwas anderes täte.
Sein Ansatz auf dem Altsaxophon ist immer noch der alte, sein Spiel hat nichts von seiner weichen, »schönen« Ästhetik verloren. Aber warum Konitz als einer der besten Solo-Improvisatoren der gesamten Jazzgeschichte gelobt wurde, warum er mal die Entwicklung des Altsax-Spiels vorangetrieben hat wie damals neben ihm nur Charlie Parker — das war beim Anhören seiner spärlichen solistischen Beiträge nur schwer zu erahnen: Am Anfang tönte er arg saftlos, von der vielgerühmten »inneren Ausgewogenheit« seines Spiels war nichts zu hören. Im Gegenteil: Er brach öfters seine Linien unvermittelt ab.
Mag sein, daß die Musiker noch nicht besonders gut aufeinander eingespielt sind: Konitz und die drei um den Saarbrücker Schlagzeuger Oliver Strauch waren zwar schon im letzten Jahr miteinander unterwegs und haben auch eine CD produziert - das Konzert in der »Mitte« war aber eines der ersten der aktuellen Deutschlandtour. Das würde auch den Sand im musikalischen Getriebe der fünf erklären, der zumindest in der ersten Hälfte das Konzert zu einer sehr lauen Angelegenheit machte.
Sicher, der Bandchef ist ein ausgezeichneter, sensibler Schlagwerker. Strauch muß nicht draufhauen, um gehört zu werden: Überaus geschickt nutzte er vergleichsweise leise spielend die dynamischen Lücken im Gruppenklang. Klar hat er mit dem präzise, »groovig« und trotzdem beseelt zupfenden Kontrabassisten Johannes Schädlich und dem einfühlsamen Sopran- und Tenorsax-Spieler Peter Decker hervorragende Bandpartner gefunden.
Trotzdem fanden alle über weite Strecken nicht so recht zusammen — und was Gitarrist Dany Schwickerath bis zum vorletzten Stück lieferte, wollte in seiner oft eigenartig schrägen, manchmal auch schlichtweg falschen Rhythmus-Auffassung gar nicht zu dem passen, was die anderen spielten. Auch der Ton des Gitarristen, dem einmal vom Meister (»Shut up!«) ziemlich deutlich beschieden wurde, nicht in sein Solo reinzuspielen, konnte nerven: Schwickerath zupfte seine »Ibanez«-Halbakustik staubtrocken, unsauber, abgehackt.
So war das Konzert — wenn man die seltenen Momente, wo Konitz und Decker im Unisono-Spiel den legendären Sound der »Birth Of The Cool«-Zeiten herzauberten, mal außer acht lässt — bis kurz vor Schluss trotz der intelligent gemachten Neukompositionen (CD: »City Lights«) und dem Über-Klassiker »Subconscious-Lee« nur sehr mittelmäßig.
Erst im letzten Song und der einzigen Zugabe, die die Vollprofis selbstverständlich innerhalb der vertraglich vereinbarten Mindestdauer des Konzerts absolvierten, war's flüssig und spritzig und wirklich »cool« noch dazu.
Da haben andere, weit weniger bekannte Jazzbands in der »Mitte« wirklich schon wesentlich mehr gebracht — und auch besseren Kontakt zum Publikum gehalten. (mpg)
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