Dienstag, 30. Januar 1996

Barbara Dennerlein: Die Schöne und das Ungetüm

Großer Andrang für die Schöne und ihr Orgel-Ungetüm bei den Nürtinger Jazztagen: Schon als sich Barbara Dennerlein, international anerkannte Jazzerin aus München, an ihre Hammond-Orgel (für Freaks: Modell »B3«) setzte, war der »Club Kuckucksei« bis auf den letzten Platz gefüllt.

Später, im Verlauf des musikalisch mitreißenden Triokonzerts, mußten die Fans im Vorraum auf den Zehenspitzen balancieren, um mal mit einem kurzen Blick auch optisch wenigstens ein Stück der Tastenvirtuosin zu erhaschen.

Akustisch war die Frau voll da, mit ihrer stets swingenden Phrasierung und der fast schon genialen Orgelsound-Beherrschung via Zugriegel bis in den letzten Winkel des »Kuckuckseis« präsent.




Kenner haben's von der Vollprofi-Musikerin, die mit zarten 15 Lenzen zum ersten Mal in Münchner Clubs aufgetreten ist und auch in der Reutlinger »Mitte« schon zu Gast war, nicht anders erwartet: Halbe Sachen liefert Dennerlein selten — und auch diesmal hatte die Organistin, die durch ihre Mitarbeit bei der zweiten »Jazzkantine«-Produktion jetzt ' auch zunehmend ein junges HipHop-Publikum begeistern dürfte, bei der Auswahl ihrer Mitmusiker ein äußerst glückliches Händchen.

Ein knochentrockener, funkig-rockiger Zweier-Puls und das »Bebop«-typische »Dropping Bombs« waren die Gegenpole, zwischen denen Schlagzeuger Andrew Gander stilistisch sehr vielseitig, verspielt und dabei doch weitgehend exakt wie ein Metronom weit mehr als Begleitfiguren zeigte.

Und Steve McKenna an der Elektrogitarre, wie Gander aus Australien, rutschte nur einmal in klischiertes Fusion-Skalengedudel ab, nützte ansonsten überaus geschickt die »Lücken« der Arrangements für eigene solistische Miniaturen. Besonders in der schwer brasilianisch beeinflußten Nummer »Fly Away« zeigte sich McKenna zudem noch als ausgezeichneter Rhythmiker.

Barbara Dennerlein war trotzdem immer erste unter Gleichen. Wie sie mit dem Pedal mitreißend groovige Sample-Bässe spielt und gleichzeitig auf den Manualen mit höchster rhythmischer Präzision geschickt den »Key-Klick« — ein typischer, eigentlich durch technische Unzulänglichkeiten verursachter Klang in der Einschwingphase des Hammond-Sounds — als perkussives Element einsetzt, ist immer wieder fantastisch.

Wie sie Swingfeeling im Verbund mit dem Wissen um die Blues- und Soul-Tradition einsetzt, ist absolut souverän: Wenn sie, die mit ihrem aktuellen Album wochenlang die Nummer eins in den Jazz-Charts war, wie in letzter Zeit und auch in Nürtingen, »tanzbaren« Jazz spielt, klingt sie am eigenständigsten.

Immer aber steht Ausdruck vor Technik, immer Gefühl vor plakativer Blenderei. Kurz gesagt: Wieder mal ein rundum tolles Jazz-Erlebnis! (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...