Da fielen — neben dem sowieso schon fast obligatorischen hohen technischen Standard der fünf — in allerster Linie die guten, keineswegs abgelutscht klingenden improvisatorischen Einfälle auf. Besonders Pianist Kenny Werner und Bassist Larry Grenadier gingen traumhaft sicher gemeinsam auf unnotierte Ausflüge. Und dass Drummer Billy Hart (neben dem Chef durch seine Mitarbeit in Formationen von McCoy Tyner, Herbie Hancock oder Stan Getz sicher der Bekannteste des Quintetts) enorm viel kann, wußten die Rottenburger Jazzfans schon vorher: Der Mann aus Washington/DC, spielte a Sonntag schon zum vierten Mal in der Zehntscheuer. Harts extrem polyrhythmisches, dynamisch und klanglich fein abgestuftes Spiel auf einem ganzen Arsenal von Becken gehört sicher zum Spannendsten, was die internationale Klopfer-Gilde zu bieten hat.
Grandios intensiv geriet auch dem jungen Tenorsaxophonisten Don Bradon so manches Solo. Der Mann kann die kompliziertesten Linien sowohl mit lässigem, wie auch sehr hitzigen Ausdruck spielen. Spätestens beim Rottenburger Konzert musste seinen Zuhörern klargeworden sein, warum Bradon (neben Joshua Redman) als der wichtigste Newcomer der Saxer-Szene gilt.
Schließlich noch der Chefs selbst: Berührend und mitleiderregend war mitanzusehen, wie sich Harrell in Spielpausen bemühte, konzentriert bei der Sache und wach zu bleiben. Seit frühester Kindheit leidet der langjährige Partner von Phil Woods an einer schweren Psychose und steht permanent unter Einfluß offensichtlich schwerer Psychopharmaka.
Aber wenn Harrell sein Horn an die Lippen setzte, hörte das Zittern seiner Hände und Arme schnell auf — und der Genuß für die Zuhörer begann: Sein Ton ist immer noch luftig und warm, sein Ansatz denkbar weich — und (fast immer) tadellos sicher. Der Beifall der Rottenburger war Harrell und seinen Mitmusikern sicher. (mpg)