Dienstag, 8. Oktober 1996

Dino Saluzzi: Stiller Instrumentalist

Der grosse Saal des Tübinger Sudhauses war voll wie schon lange nicht mehr bei einem Jazzkonzert; das ehrgeizige »Jazz meets Klassik«-Projekt — eine erst vor drei Tagen uraufgeführte Auftragsarbeit für die diesjährigen Landeskunstwochen in Ettlingen — zog die Jazzfans gleichermaßen wie Klassik-Liebhaber ins Derendinger Kulturzentrum: »Ausverkauft!«, meldeten die Veranstalter schon bei Konzertbeginn.

Dass die Massen strömten, dürfte nicht einmal so sehr an der ambitionierten — und in Tübingen letztendlich geglückten — Verbindung des gemeinhin mit »typisch klassisch« assoziierten Streichquartett-Klangs (samt entsprechenden Formen) mit den Sounds und Spielweisen einer Jazzcombo gelegen haben: Angesagt hatte sich mit dem Argentinier Dino Saluzzi ein Musiker, der weltweit als unbestritten Bester auf dem Bandoneon gerühmt wird.

Und der hier in der Gegend schon immer besonders gern gehört wird. Lange Jahre war der stille Instrumentalist, dessen Mimik die Melodielinien seines Instruments »mitspielt«, in Stuttgart zu Hause, gab viele Konzerte. Seine mit Wolfgang Dauner und Charlie Mariano aufgenommenen Platten »One Night in '88« und »Pas de Trois« sind auch kommerziell betrachtet wahre Hits geworden und werden zu Recht als Meilensteine europäischer Jazzentwicklung gefeiert.

Dino Saluzzi, der Weltbürger und musikalische Weltenbummler, ist — so sahen's auch die Tübinger — genau der Richtige für so eine stilistische Gratwanderung. Und in der Tat steuerte er sowohl in klanglich eher romantisch angelegten Teilen der Schwerpunkt-Kompositionen von Peter Schindler besonders dynamisch vielfältige Töne bei, wie er auch jazzig im Verbund mit »Lubber Blue« authentisch und virtuos klang. Und natürlich liess Saluzzi in dem langen, zweigeteilten Programm auch ein paarmal eindeutig durchblicken, wo er herkommt: Besonders bewegend war's im »Tango del olvido« vor und in »Fragmento« nach der Pause zu hören.

Das »Schiller String Quartet« steuerte, oft in »seriell« oder »minimalistisch« angehauchten Formen, die Klänge der alten Welt bei: die Jazzband »Lubber Blue« (die der Tübinger Jazzfan von vielen ausgezeichneten Gastspielen her hatürlich kennt) die der neuen. An der Schnittstelle gab's — Gott sei Dank nur ganz selten Probleme mit der Rhythmik; die Schuld vom (wieder mal) exzellenten »Lubber Blue«-Drummer Dieter Schumacher war's nicht.

Neben Saluzzi waren es vor allem er und Saxophonist Peter Lehel (Karlsruhe), die besonders aus dem knappen Dutzend Musiker herausragten. Der Drummer zog ein ums andere Mal die Konzentration der Hörer mit fein abgestuftem Getrommel auf den Toms auf sich, der Bläser lieferte (ebenfalls wieder mal) nicht nur solistisch Außerordentliches, sondern harmonierte hervorragend mit Dino Saluzzi.

So waren es besonders die improvisierten Duette und die jazzmäßigen »Call and Response«-Spielchen der beiden, die es dem »Sudhaus«-Publikum sichtlich besonders angetan hatten. Aber nicht nur die beiden »Stars« des Abends wurden bejubelt: Das Publikum würdigte die ausserordentliche Gesamtleistung des »Jazz meets Klassik«-Ensembles mit minutenlangem Applaus.

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