»Weltmusik« ist »in« wie nie zuvor. Plattenkäufer wie Konzertgänger lechzen förmlich nach neuen akustischen Reizen. Wenn's üherhaupt einen gemeinsamen Trend der populären Musikstile in den 90ern gibt, dann heißt der: Vermischung.
Auf neudeutsch nennt sich das dann »Crossover«; eine »Kreuzung« sehr spezieller Art erlebten am Sonntag rund 200 Sudhaus-Besucher, die auf Einladung des »Jazz im Prinz Karl« ins Derendinger Kulturzentrum gekommen waren: Gitarrist Nguyen Le (»Ich sehe mich als Jazzmusiker, weil ich in dieser Musik die intelligenteste Verhindung von Freiheit und Wissen erkenne«) stellte sein überaus ambitioniertes Projekt »Tales From Vietnam« live vor.
Vor kurzem gastierte der in Paris geborene Sohn eines vietnamesischen Literatur-Professors schon einmal in der Region. Spielte er im Reutlinger »Jazzclub in der Mitte« in kleiner Besetzung hauptsächlich am Rock-Jazz orientiert, ging's diesmal um »Tales From Vietnam«.
Le hat in diesem Projekt die Musik Südvietnams, die er sich — wie auch die dortige Tradition — erst erarbeiten musste, mit seinen eigenen Vorlieben komhiniert.
Das Ergebnis ist live schon faszinierend: Im Sudhaus treffen insgesamt acht Musiker, zum Teil mit rein traditionellem Musik-Background, aufeinander und präsentieren ein kunterbuntes Kaleidoskop, in dem bei oberflächlichem Hören so ziemlich alle relevanten Stil-Elemente von Jazz, Rock und vietnamesischer Musik durcheinander wirbeln. Nguyen Le hat die klassische Sängerin Huong Thang mit dabei, und Hao Nhien Pam, der (für westliche Augen und Ohren) höchst exotische Saiten- und Percussionsinstrumente spielt. Dazu kommen zwei Bläser an Trompete und Tenorsax, Perkussion, Schlagzeug, Kontrabass.
Mit zunehmender Dauer des Konzerts, das von den Sudhaus-Besuchern konzentriert goutiert und mit viel Applaus bedacht wurde, fiel allerdings auch bei dieser Ost-West-Fusion auf, was das Problem fast aller Musik-»Verschmelzungen« ist: Die Summe ist nicht mehr als die Einzelteile, da entsteht wenig Neues — vielmehr werden Schnipsel mehr oder minder elegant aneinandergereiht. Vier Takte hardrockmässig auf der Gitarre gebrettert, dann ein wenig »schräger« Gesang, gefolgt von nostalgischem Bass-Geknarze — ein Sahnehäubchen Soul-Feeling vom Saxophon vielleicht dazwischen?
Die emotionale Beliebigkeit, in die auch die »Tales From Vietnam« — auf CD wie im Konzert — immer wieder abzurutschen drohen, fällt beim Staunen über die exzellenten Einzelkämpfer-Fähigkeiten der Bandmitglieder weniger auf: Speziell Michel Benita (Bass), Joel Allouche (Schlagzeug) und Perkussionist Frafflis Verly produzieren Erstaunliches auf ihren Instrumenten.
Und der Chef selbst »zaubert« auf seiner »Midi«-Gitarre (mit der er auch Synthesizer- und Sampler-Klänge ahruft), ein halbes Musikzimmer hervor. Wie schon in der »Mitte« ging er sehr intelligent mit Flächensounds um, wie damals nervte er auch diesmal stellenweise mit »typisch gitarrenmässigem« Noten- und Skalen-Wust: Weniger wäre also nicht nur, was die zitierten Stil-Elemente anbetrifft, mehr gewesen. So war's ein Ding zwischen allen Stühlen. (mpg)
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