Freitag, 5. September 1997

Deborah Henson-Conant: Kein Rauschgoldengel an der Harfe

Nein, ein Rauschgoldengel an der Harfe ist Deborah Henson-Conant wirklich nicht. Im Gegenteil: Bei ihrem Auftritt im ausverkauften kleinen Saal des Stuttgarter Theaterhauses am Mittwochabend tut die resolut auftretende Amerikanerin ziemlich viel, um etwaige Klischees in den Köpfen der Besucher zu zerstören.

Das fing beim Outfit (schrille Frisur, Ledermini und derb auffällige Westernstiefel) an, ging mit den burschikosen Ansagen in vergleichsweise gutem Deutsch weiter und hörte mit überaus plakativen Ton-Effekten auf ihren Instrumenten auf.

Deborah Henson-Conant lässt im Theaterhaus lustvoll die dicken Bass-Saiten auf ihrer großen Pedal-Harfe schnalzen, dass es — elektronisch dezent bearbeitet und verstärkt — hardrockmässig donnert.

Eifrig sucht sie den Kontakt zum Publikum, erklärt genauestens die (verstimmende) Funktion der Pedale, bevor sie in einem Stück »aus tausendundeiner Nacht« arabische Klischeefetzen mit Easy-Listening-Jazz und süsslichen Pop-Zitaten verschmilzt.

Vorher und nachher gibt's in dem für eine Solodarbietung ausgiebig langen Konzert reichlich Folk. Mag sein, dass Deborah Henson-Conant nach heimischen (sehr poplastigen) US-Massstäben dem Jazzer-Lager zugerechnet werden darf, mag auch sein, dass dieses Etikett deswegen gerne übernommen wird, weil die Pop-Harfenistin mit ihrer eklektizistischen Mischung eigentlich in kein Verkaufs-Fach passt: Der Begriff »Jazz« fällt einem bei dem, was Henson-Conant im Theaterhaus unter begeistertem Geklatsche und Getrampel der Fans vorführt, erst ziemlich spät ein.

Und das liegt nicht mal so sehr an den Show-Mätzchen, die die Musikerin (»Ich bin eine Künstlerin, also muss auch mein Haar künstlich sein!«) in Moderation und Musik bringt. Vielmehr sind viele Stücke eindeutig im Geist des amerikanischen College-Folk der 70er gehalten: Da liegt der Gedanke an grosse, von Henson-Conant ebenfalls nicht erreichte, Song-Gemälde einer Carole King oder Joni Mitthell näher, als der an Dizzy, Miles oder Coltrane.

Das Problem an der Geschichte ist auch, dass eine Harfe prinzipbedingt im Vergleich zu typischem Jazz-Instrumentarium dem Spieler nur wenig Möglichkeiten gibt, den Klang zu verformen. Eine Gitarre oder gar ein Saxophon bringen da wesentlich mehr Individualität (und um die geht's eigentlich beim Jazz. . .) ins Spiel. Zeena Parkins, eine beim »breiten« Jazz-Publikum weitgehend unbekannte amerikanische Avantgarde-Harfenistin, setzt sehr viel radikalere elektronische Verfremdungen und auch eine kompromisslos experimentelle Spieltechnik ein, um dem Moment der Langeweile vorzubeugen.

Henson-Conant will gefallen und unterhalten — und gerät so ziemlich oft in plätschernde Gewässer. Gershwin mit »Take Five« gemixt ist alleine schon eine gute Mischung für den Kaufhaus-Fahrstuhl.Aus der Harfe der Amerikanerin tönt's dann für den Rezensenten noch beliebiger.

Der astrein akkurat (mit »klinisch sauber« könnte man's auch beschreiben. . .) gespielte Harfen-Blues am Anfang zeigt schon, was später immer deutlicher wird: Show und spieltechnische Artistik stehen bei dem Konzert im Vordergrund. Und in beiden Belangen zeigt Deborah Henson-Conant bewundernswert grosse Routine. (-mpg)

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...