Er sieht aus wie Mamas Lieblingsschwiegersohn. Wenn Ingo Appelt die Klappe aufmacht, ist es allerdings vorbei mit der Harmonieseligkeit. Erst Schlosser, dann Gewerkschafter, dann Komiker: Der Essener ging nicht gerade den direkten Weg, aber durch viele gute Satire-Schulen, wie er im Gespräch mit Martin Gerner erzählt.
Das Programm »Der Abräumer« gibt's ja schon eine ganze Weile. Sieht man das auch beim Reutlinger Comedy-Festival?
Das ist kein Programm-Name, das ist eher als Überbegriff zu sehen: »Der Abräumer« ist der Untertitel von Ingo Appelt. Appelt ist ein Programm an sich!
Vom Schlosser zum Brettl-Künstler - das ist doch eher ungewöhnlich...
Naja, schon, aber wer wie ich jahrelang mit spanender Begeisterung auf Metall und Holz herumgehackt hat, kann natürlich auch gut auf den Gefühlen anderer Menschen herumtrampeln... Ein direkter Weg ist es natürlich nicht vom Maschinenschlosser zum Kabarettisten. Aber ich war ja auch Funktionör der IG Metall...
IG Krawall haben wir damals immer gesagt — und das war schon eher der Einstieg ins Kabarett. Weil: Betriebsversammlungen bei Siemens — das ist schon Realsatire, was da abläuft.
Sind Sie nun Kabarettist oder Komiker?
Eher Kabarettist, und ich hab' natürlich auch den Habitus der alten Kabarettschule drauf. Aber die Comedy, sag' ich immer, ist zu mir gekommen, weil sie halt im Moment einfach gängig ist. Stand-up-Comedy hab' ich mir überhaupt erst in den letzten zwei Jahren angeschaut. Letzten Endes sind das nur neue Begrifflichkeiten. Also: Ich mache Kabarett, aber in dieser internationalisierten Szene sagt man halt heute zu den Sketchen »Stand-up-Comedy«. Wobei der moralische Anspruch des alten Kabaretts inzwischen natürlich flachfällt.
Dann wären Ihre politisierenden Kollegen also Auslaufmodelle?
Auslaufmodell — weiß nicht... Aber man sieht ja auch an den Zuschauerzahlen, daß es schwieriger wird. Diejenigen, die das Talent haben, den alten Anspruch mit neuen Ausdrucksformen zu verbinden, werden überleben. Das althergebrachte Kabarett hat was Elitäres. Wir leben in einem Medienzeitalter, wo das Verkaufen enorme Bedeutung hat. Und moralisieren oder ein schlechtes Gewissen einreden verkauft sich halt ganz schlecht. Früher wollte man die großen Potentaten anpinkeln und sie verbal hinrichten. Die gibt's nicht mehr, und Kritik nützt auch nichts. Gegen Helmut Kohl ist schon alles gesagt. Es ist wurscht, er regiert weiter. Das Provokative ist heute eher ein didaktisches Mittel als das Aufklärerische.
Sie parodieren ja auch eine breite Palette Prominenter. Gibt's da eine persönliche Lieblingsvorlage?
Udo Lindenberg. Wer weiß, wie lange es den überhaupt noch gibt. Den mag ich sehr, Grönemeyer auch. Kohl mach' ich nicht so gerne. Norbert Blüm ist süß. Die Figur, die ich am stärksten kultiviert habe, ist Rudolf Scharping. Es gibt keinen, der den so bräsig bringt wie ich. Der ist mein Star, waiil äähr soo schööön laaahngsaahm ist (lacht herzlich). (mpg)
Montag, 1. September 1997
Ingo Appelt: Klappe auf
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