Montag, 1. September 1997

Einstürzende Neubauten: Stromgesänge

Irgendwie typisch deutsch, diese Einstürzenden Neubauten. Seit mehr als 15 Jahren schwimmt die Band gegen den Strom und ist doch mit allen Weihen des höheren Kulturbetriebs versehen. Den Krach der Maschinen haben Blixa Bargeld und Co. längst auf einen allgemein anerkannten Kunst-Sockel gehievt.

In den Anfängen, zu Beginn der 80er, waren die Einstürzenden Neubauten eine Nischen-Gruppe, deren wüster, metallisch-kaputter Sound genau die richtigen Trostpflästerchen für notorisch deprimierte Post-Punk-Seelen zu liefern schien. Später entdeckte das Feuilleton die Neubauten -- und Bargeld seine Liebe zur klassischen Kultur. Die Beziehung gipfelte in den Ex-Barrikadenstürmern als  Faust«-Theatermusikern.

Und jetzt scheint alles zu gehen: Auf der aktuellen »EN«-Platte »Ende Neu« findet sich neben dem »rhythmisch-jazzigen Dröhnen von Motoren« und dem »Gesang des Starkstroms« auch ein mehr oder minder konventionelles Liebes-Duett zwischen Blixa und der Chanteuse Meret Becker, mit fetten Streichern und allem Drum und Dran. »Das könnte unsere bisher radikalste Singleauskopplung gewesen sein«, verkündet Blixa. Stimmt genau!

Warum seine künstlerischen Hakenschläge (oder sind's doch nur verschmitzte Gaukeleien eines insgeheim über sein Publikum lachenden Harlekins?) praktisch durchweg in Moll gehalten sind, fast immer nur mit Düsterem spielen, werden die Härtefans - und nur die - schon wissen.

Herr Bargeld, typisch deutsch, gibt in dieser Sache allen Möchtegern-Jüngern bis zum Konzert ein Denksporträtsel mit auf den Weg: »Zwei Männer stehen in der Wüste, einer hat einen Regenschirm dabei. Wer ist hier der Optimist und wer der Pessimist?« (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...