Nicht mit Pauken und Trompeten, dafür mit einem der anerkannt besten Saxophonisten überhaupt eröffnete das neue Reutlinger »Maximilian« sein Konzertprogramm. Auf Vermittlung von Tobias Festl gastierte die »Charlie Mariano Group« in der Seestraße. Und — oh Wunder! — das »Maximilian« war gefüllt bis in den hintersten Winkel. Gut 200 Gäste dürften bei dem langen, nicht nur im Reutlinger Vergleich sehr guten Konzert zugehört haben.
Vor der Kasse bettelten nicht wenige Zuspätkommer um Einlaß; »Ausverkauft« meldete der auf eigenes Risiko wirtschaftende Tobias Festl — nicht gerade unglücklich darüber, mal keinen der berühmten »Reutlinger Flops« erlebt zu haben - schon vor Konzertbeginn.
Die, die drinnen zuhören konnten, durften sich aus mehreren Gründen freuen.
Der wichtigste davon ist: Charlie und seine drei Mitmusiker waren im »Maximilian« ziemlich gut gelaunt und auch musikalisch sehr gut »drauf«. Der Rezensent erinnert sich unter knapp zwei Dutzend miterlebten Mariano-Auftritten an kaum einen, bei dem der wohl bekannteste Jazz-Saxophonist Europas so homogen und überzeugend wie jetzt in Reutlingen mit anderen Könnern zusammengespielt hat.
Das doch fortgeschrittene Alter — 75 wird er diesen November — scheint dem in Boston/USA geborenen, seit vielen Jahren in Köln lebenden Jazz-Nomaden wenig auszumachen; musikalisch zu spüren war im »Maximilian« davon nichts — und hätte sich Mariano nicht ab und zu hingesetzt, hätte man glauben können, dass da ein »junger Wilder« spielt.
Mariano — das ist der zweite überaus positive Aspekt — überraschte nämlich diesmal mit einem eher erdigen, souligen Konzert. Natürlich ist er immer noch ein Meister der Klangfarben: Aus seinen beiden Instrumenten (ein Alt mit Mickymaus-Aufkleber und ein Sopran) holt Charlie mehr feindifferenzierte Schattierungen heraus als das Gros der Saxophonisten zusammen. Aber in Reutlingen liess er es mit gekonnter Rhythmus-Unterstützung von Dieter Ilg (Kontrabass) und einem hervorragenden Jeff Hirshfield am Schlagzeug — auf gut Musikerdeutsch »krachen«.
Schon der »Lazy Day« ganz zu Beginn - ein grooviges Stück in Rhythm'n'Blues-Manier — machte klar, wohin die Reise in den nächsten Stunden gehen sollte: Über weite Strecken hätten die Zuhörer zu dieser Musik wohl auch tanzen können. Besonders nachvollziehbar wurde diese »funky attitude« des Quartetts beim Mariano-Erfolgstitel »Plum Island« in der zweiten Konzerthälfte: Im Vergleich zur sacht und zart swingenden Plattenaufnahme (1985 bei mood records erschienen) klang die Reutlinger Live-Version fast schon wie von einer afroamerikanischen Ghetto-Musikerbande gespielt.
Mariano, der einen hochkonzentrierten und hellwachen Eindruck machte, liess sich da offenbar auch von der Spiellaune seiner Kollegen mitreißen. Jeff Hirshfield hat man in unseren Breiten selten gleichzeitig so komplex-vertrackt und doch zupackend Schlagzeug spielen hören. Dieter Ilg machte (wieder einmal) Kenner wie Jazz-Gelegenheitshörer mit seiner überragenden, spielerisch wirkenden Technik ebenso staunen wie mit seiner intelligenten, warmherzig wirkenden Musikalität: Der längst international gerühmte Tieftöner aus Freiburg zeigte sich im »Maximilian« gleichermassen als Groove-Meister wie auch als feinsinniger Klang-Maler.
Und Vic Juris, der dritte Amerikaner in diesem All-Star-Quartet, zog mit einer vergleichsweise sehr bluesigen Spielweise mit, verzichtete mit seinen Gitarren fast gänzlich auf technische Mätzchen und überraschte stattdessen nicht nur die Zuhörer, sondern wohl auch Mariano öfters mit originell-schrägen Solo-Einfällen innerhalb des Arrangements.
Die Konzertgäste merkten recht schnell, daß sie ein außergewöhnliches Konzert miterleben durften und applaudierten dermassen heftig, daß die Musiker, sichtlich angetan davon, noch mehr auftauten. Das »Maximilian« hätte, das ist sicher, kaum einen besseren Veranstaltungs-Start haben können. Geschäftsführer Peter Grimm kündigte weitere Konzertangebote für die Zukunft an. (-mpg)
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