Joachim Kühn, der in- und außerhalb der Szene gelobte Jazzpianist, hatte für die Besucher in der Rottenburger Zehntscheuer »eine schlechte und eine gute Nachricht«. Die schlechte war, daß Ausnahme-Bassist Jean-Francois Jenny-Clarke diesmal wegen Krankheit nicht mit dabei sein konnte.
Gut aber, daß Kühn in kurzer Zeit mit Bruno Chevillon einen Ersatz gefunden hatte, der bestens mit den anderen beiden zu harmonieren schien.
Die Musik des seit vielen Jahren zusammenspielenden Trios Kühn/Humair/Jenny-Clarke lebt nämlich vom gleichberechtigten Austausch zwischen Jazz-Könnern. Und die Rollen und Aufgaben sind fein ausbalanciert; ein neuer Mann könnte das Gleichgewicht schnell ins Wackeln bringen.
Das war mit Bruno Chevillon — den Kenner vielleicht schon in Formationen des Klarinettisten Louis Sclavis gehört haben — aber nicht der Fall. Erstens verstand sich der Konstrabassist im Gruppenklang durchzusetzen, ohne dabei zu dominieren. Und zweitens zeigte er sich als routinierter Techniker, der auch bei den wildesten Metren von Daniel Humair die Ruhe selbst blieb und so manches Mal das stellenweise schwer komplizierte Notengetümmel zusammenhielt.
Kühn selbst wirkte vergleichsweise locker und verband — wie bekannt — sehr geschickt formale Strenge mit freiem brillantem Spiel. Dabei scheint er sich sowohl in romantisierenden Stimmungen wohlzufühlen, wie er auch immer wieder durchblicken läßt, daß das Thema »Free Jazz« für ihn noch lange nicht erledigt ist.
Fast am spektakulärsten klang an diesem vom Kulturverein Zehntscheuer und dem Tübinger »Jazz im Prinz Karl« gemeinsam veranstalteten Abend aber Drummer Daniel Humair. Wer noch nicht um seine höchst erstaunlichen rhythmischen Fähigkeiten wußte, bekam in der Zehntscheuer ziemlich schnell mit, warum er als ein Meister der Polyrhythmie geschätzt und gelobt wird: Humairs dynamisches Spiel auf den Becken (nur ein Beispiel) scheint völlig losgelöst vom Grund-Puls — und ist so verschachtelt, daß es alleine schon ausreichen würde.
Auch ohne Jenny-Clarke war's ein wahres »Trio furioso«, das da spielte. Offensichtlich sehr zur Freude der Besucher im rund zur Hälfte gefüllten Zehntscheuer-Saal: Sollte der Applaus ein Gradmesser für die Beliebtheit sein, müssen Kühn und Co. unbedingt wieder nach Rottenburg kommen.
Autor: Martin Gerner
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