Daß es kein ganz normaler Tübinger Pop-Termin war, merkten die Besucher schon an der Schlange vor der Mensa Wilhelmstraße: So voll wie beim Konzert mit Khaled aus Algerien war die nämlich schon lange nicht mehr — und im Programmreigen des diesjährigen »Tübinger Festivals« vom »Zentrum Zoo« stieß bisher kein anderer Künstler auf größere Resonanz.
Ebenfalls nicht an der Tagesordnung sind in der Unistadt die vergleichsweise scharfen Eingangskontrollen durch Sicherheitspersonal — und massive Absperrgitter wie bei einem großen Openair-Event sieht man dort auch nur selten.
Aber Khaled ist halt nicht nur ein freundlich lächelnder Popsänger und Musiker, sondern auch Idol einer großen Menge freiheitsliebender Algerier; musikalisch wie auch in seiner Person symbolisiert er für viele ein anderes Algerien jenseits der totalitären Staatsmacht und dem Fanatismus religiöser Fundamentalisten. Seit gut 15 Jahren darf er in seiner Heimat überhaupt nicht mehr auftreten — und selbst Auslandskonzerte sagt er aus Angst vor Anschlägen immer mal wieder ab. Zum Beispiel letztes Jahr auch einen Auftritt bei den Stuttgarter »Jazz Open«.
Da kann man die erhöhte Anspannung der »Security«-Leute schon verstehen. Nicht nachvollziehbar (und selbst bei als »zickig« bekannten Mega-Stars unüblich) ist dagegen, daß Bildjournalisten an ihrer Arbeit gehindert werden. Und einen Gast, der wie viele mit einer Amateurkamera einen Schnappschuß machen will, behandelt das Sicherheits-Personal ziemlich rüde und zieht den Film ein . . .
Diese Szenen paßten gar nicht zu der schmuseweichen Stimmung, die Khaled und seine bis zu neun Mitstreiter musikalisch auf der Bühne verbreiteten. Mit Politik haben seine Songs direkt nichts zu tun, sagt er selbst: »Der Rai handelt von der Liebe und den schönen Dingen.« Und so kommen denn auch keine anderen als harmonische Tonkombinationen vor — der Arab-Pop, den Khaled und seine vollprofessionell, aber emotional etwas unengagiert auftretenden Begleiter spielen, ist selbst für Ohren, die diese Skalen eigentlich gar nicht gewohnt sind, leicht geniessbar.
Zumal Khaled — wie auch bei seinem »Theaterhaus«-Auftritt vor zwei Monaten — die weltweite »Massentauglichkeit« seiner Musik anscheinend noch betonen will. Nicht etwa musikethnologisch Markantes gibt's zu hören, sondern gutgemachte »World Music« im kommerziellsten Sinn. Mal blubbert die Band zu den Viertelton-Eskapaden des Chefs in sanften Pop-Reggae-Rhythmen, mal zitiert sie Rock-Allgemeinplätze - oder beweist mit knackiger »echter« Bläser-Section, daß sie auch in Sachen Pop-Funk mit den von Quincy Jones und Co. gesetzten US-Standards mithalten kann und will.
Und zumindest die vielen Landsleute des Rai-Stars im größtenteils weiblichen Publikum sind hin und weg vor Begeisterung — in den ersten Reihen direkt vor der Bühne herrschen Gedrängel und Euphorie wie sonst eigentlich nur bei Teeniepop-Ereignissen: Khaled hat auch in Tübingen gezeigt, daß er der Superstar Algeriens ist. (-mpg)
Dienstag, 30. Juni 1998
Khaled: Pop-Verführer
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