Montag, 6. Juli 1998

AfroBrasil Tübingen '98: Von Samba bis Pop

Die Fans bei den Afrobrasil-Festivals in Tübingen zeigten sich schon immer fetenfreudig — so schnell wie diesmal brach das Tanzfieber unter rund 6.000 Besuchern aber selten aus. Die Hit-Lieferanten von »E 0 Tchan«, kamen mittags kurz nach halb fünf auf die Bühne, sahen ein gutgelauntes Publikum — und hatten schon mit den ersten Tönen gewonnen.

»E o Tchan« belegen seit zwei Jahren nicht nur die ersten Plätze der Brasil-Charts, sondern haben gar einen nach ihnen benannten Modetanz durchsetzen können: Klar, dass da bei den Brasilianern im Publikum helle Musik-Begeisterung angesagt war.

Zu dem zusätzlichen Auftritt von »E o Tchan« am Samstag kam's, weil ein anderer Top-Act im Vorfeld — dezent gesagt - Mist gebaut hatte: Alceu Valenca sagte sein Konzert wenige Tage vor dem Tübinger Termin ab — und Programm-Macher Winfried Kast mußte sich schleunigst um einen Ersatz kümmern, wollte er nicht mit nur zwei Einzelkonzerten am ersten »AfroBrasil 98«-Tag dastehen. Und als er nach nerven- und schlafraubenden Telefon-Marathon eben die »Tchan«-Leute aus einem anderen Vertrag gelöst hatte, wollte Alceu doch wieder auftreten. Das Festival-Team schaffte es mit viel logistischer Improvisationsgabe, das entstandene Chaos zu kontrollieren.

Weil »leisere« Acts dieses Jahr fehlten, war am Samstag eine achtstündige Dauer-Latin-Disco angesagt. Und Alceu Valenca, der seit 36 Stunden nicht mehr geschlafen hatte, verdrängte angesichts der Woge der Begeisterung die Müdigkeit. Sein harmonisch wie dramaturgisch vergleichsweise experimentelles Konzert vermischte richtig derbe Rock-Töne und viel Blues-Feeling mit Stilen, die im Nordosten von Brasilien entstanden sind und bisher bei den Bahia-lastigen Marktplatz-Festen nicht so präsent waren: Höchst interessantes Ohrenfutter für Zuhörer, die an neuen Reizen interessiert sind.

Auch auf dem Tübinger Marktplatz bekannt — und, wie sich wieder zeigte, enorm beliebt — ist der musikalische wie persönliche Charme Daniela Mercurys. Das zierliche Energiebündel brachte neben einem Klassiker-Medley »Axe«-Musik satt. Diese Fusion aus den prägnantesten Elementen von Samba, Reggae und anderer Karibik-Rhythmen kam natürlich auch jetzt wieder beim »AfroBrasil«-Fest bestens an.

Und als die Tragödie um Bertis Buben fast beim bitteren Ende angelangt war, war das Party-Erlebnis für die Brasil-Fans perfekt: Die »Banda Eva« lieferte eine vor Energie nur so sprühende, auch choreographisch hochprofessionelle Show mit einem Mix aus Samba, Reggae, Funk und viel me lodischem Pop. Die Begeisterung auf dem Marktplatz schien grenzenlos.

Am Sonntag ging die Fete mit einem von allen Beobachtern hochgelobten Auftritt von Marisa Monte weiter: Die Show des Brasil-Stars war noch perfekter als beim ersten Tübinger Konzert, die Dramaturgie wie von einem guten Regisseur geplant. Und die Musik, eine Mischung aus Samba und vielen US-Popstilen, geriet so vielseitig wie bei keiner anderen Band des »AfroBrasil 98«.

Zum Abschluß des Festivals gab's noch, mal eine Party mit »E o Tchan« — und vorher begeisterte Jorge Benjor mit einem Hit-Programm aus seiner 35jährigen Karriere: Die Fans sangen die Samba-ReggaeRocksongs, die in Brasilien teilweise bekannt wie Schlager sind, in lautstarken Chören und mit emporgereckten Armen mit. (-mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...