Dienstag, 27. Oktober 1998

Barbara Dennerlein: Jazzerin der Extraklasse

Einhellige Begeisterung und donnernder Applaus: Organistin Barbara Dennerlein und ihre zwei Begleiter setzten am Sonntag im Reutlinger »Foyer U 3« ein Glanzlicht aufs Programm der »Landes-Jazztage Baden-Württemberg«. Das mit dreieinhalb Stunden ungewöhnlich lange Konzert verging wie im Flug; der Jubel der Zuhörer im komplett ausverkauften ehemaligen Franzosen-Kino klang überaus frenetisch — und die Münchner Tasten-Bändigerin dokumentierte einmal mehr mit souveräner Musikalität ihre Ausnahmestellung innerhalb der Jazzszene.

Vor zwölf Jahren gastierte sie schonmal in Reutlingen. »Ich hoffe, dass ich in einem kürzeren Abstand wiederkommen kann«, meinte die weltweit als Spitzen-Könnerin anerkannte Musikerin gegen Ende des »Foyer«-Konzerts — und das war ehrlich gemeint.

Ihre Reutlinger Zuhörer zeigten sich nämlich nicht nur aufmerksam und angetan, sondern machten auch mit Ausdauer mit: Beim »Walk On Air« lieferten die Fans nicht nur klatschend und ungewöhnlich exakt den Grund-Puls, sondern wollten, als das Stück aus war, gar nicht mehr aufhören. »Das ist mir noch nie passiert«, meinte die Mittdreissigerin lachend  - und sichtlich von der Resonanz angetan.

Schon der erste Titel des Abends, eine hinreissend soulige Interpretation von Benny Golsons »Blues March«, gab die Richtung an: Dass Dennerlein keine artifiziell verkopfte Musik macht, ist bekannt — aber dermassen »Black Music«-orientiert hat auch der Schreiber dieser Zeilen die Powerfrau am »Hammond B3«-Orgel-Ungetüm in den vielleicht zehn Konzerten, die er geniessen durfte, wirklich noch nie erlebt: Prall und sinnlich wie bisher selten, spannend funkig und ungemein »tanzbar« klang der Dennerlein-Sound diesmal — Jazz der Spitzenklasse nicht für eine Elfenbeinturm-Elite, sondern für alle offenen Ohren ein ungemein eingängiger Genuss ohne populistische Anbiederung.

Das lag mit Sicherheit nicht nur an der schier überbordenden Musikalität der Chefin; mit ihr und um sie herum spielten nämlich zwei ebenbürtige Könner: Adrian Mears an der Posaune setzte seine fantastische Technik ebenfalls nicht zum Selbstzweck ein, sondern spielte mit »heisser« Phrasierung und noch mehr Soul-Feeling sehr sangliche, groovige Linien. Der Australier geht mit seiner (an sich eher spröden und nicht eben einfach zu spielenden) Posaune besser um, als viele andere mit den Stimmbändern, auch von ihm gab's keinen Takt Leerlauf zu hören.

Und bei dem, was der argentinische Schlagzeuger Daniel Messina absolut locker auf seinem Drumset vollführte, klappte selbst hartgesottenen Jazz-Freaks die Kinnlade herunter: Gleichermassen in binären, rockmässigen Spielweisen fit wie in jazzigen, »terniären« Zählarten, erwies er sich als Meister hochkomplex polyrhythmischer Grooves, die trotzdem stets eingängig klangen und hervorragend ins und zum Gesamtgefüge passten.

Das alles fiel besonders bei dem Hochtempo-Stück »Black & White« auf, bei dem (Dennerleins Dackel-Dame gewidmeten) »Samba And The Drumstick« oder dem wirklich dampfend-hitzigen — »Grandfathers Funk«.

Diesen Titel hat die Ausnahme-Jazzerin ihrem Opa gewidmet, der ihr vor Jahrzehnten die erste Orgel schenkte und damit den Anstoss für eine durch und durch ungewöhnliche Karriere gab: Dennerlein ist nämlich nicht nur als Organistin mit ihrer wieselflinken Technik eine Klasse für sich — die zierliche Jazzerin hätte auch diesmal wahrscheinlich (fast) jeden Tiefton-Kollegen an die Wand gespielt.

Ihr rechter Fuß regelte fast bewegungslos die Lautstärke und den rotierenden Leslie-Effekt, mit dem linken spielte sie völlig unabhängig vom Rest ihrer Extremitäten via Fusspedal einen mitreißend swingenden, gesampelten Bass. Auch das ist »Babs«-Fans nichts Neues — aber, wie gesagt, so souverän hat man' s bisher kaum hören können.

Am Ende der regulären Spieldauer mußte sich das hochmusikalische Trio zigmal verbeugen, es gab höchst zustimmende Pfiffe und nicht wenige »Bravo«-Rufe. Und natürlich, obwohl das Trio wegen der Anreise aus dem hohen Norden ziemlich übermüdet war, noch mehr: Dennerlein und Co. zählten »It Just So Happens« ein — einen bereits vor zehn Jahren eingespielten Titel von Mears' amerikanischem Posaunen-Kollegen Ray Anderson: Hinreißend! (-mpg)

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...