Donnerstag, 15. Oktober 1998

Nils Petter Molvaer: Kühl durchkonstruiert

Er ist gerade jedermanns Liebling, der Trompeter Nils Petter Movaer: Seine Platte »Khmer« verdrängte Gitarren-Sonnyboy Pat Metheny vom ersten Platz der deutschen Jazz-Charts, der Norweger ist gleichermaßen in allgemeinen Publikumszeitschriften wie der Fachpresse Thema.

Es fragt sich nach dem Besuch von Molvaers Tübinger Konzert vor rund 300 Zuhörern nicht, warum: Der Jazzer und sein Konzept sind nämlich »postmodern« und gewissermaßen »mega-in«, wie geschaffen für den heutigen Durchlauferhitzer-Konsum. Ein bißchen fahriges »Drum 'n' Bass«-Rhythmusgeklapper und eifrig auswendig gelernte Funk-Patterns, darüber epigonenhaft a la Miles verhauchte Trompetentöne, ein paar warme Analogsynthesizer-Flächen im Hintergrund — das war's eigentlich, ganz nüchtern betrachtet, eigentlich schon.

Spektakulär mögen die zwei (!) Schlagzeuger anmuten, die Molvaer ins »Sudhaus« mitgebracht hat. Indes: eine musikalische Daseinsberechtigung haben sie, von einer einzigen Stelle, wo Molvaer den Davisschen '»Electric Jazz« dessen psychedelischer »Agartha«-Phase mehr schlecht als recht kopiert, nicht.

Aber nicht nur da gab's jede Menge Leerlauf zu hören. Der Funk wirkt — beispielsweise zu dem eines Maceo Parker — wie aus der Tiefkühltruhe, das Plattengekratze von Per Nyhus ist ziemlich überflüssig. Ein leises Duett zwischen Trompete und »Oberheim«-Blockakkordik auf dem Synthesizer sollte Atmosphäre verbreiten. Und klang doch, zumindest in den Ohren derjenigen, die den »real stuff« (sprich: Miles höchstpersönlich) noch erlebt haben, nur wie ein billiges Abziehbild.

Aber immerhin eines, das auf Hochglanzpapier gedruckt ist. »Spielt nicht das, was ihr schon könnt, versucht das zu spielen, was ihr noch nicht könnt«, war stets der berufliche Rat von Davis an seine Mitmusiker und Kollegen. Er selbst hat sich, bis auf wenige Ausnahmen, an diese Maxime gehalten, und ist gut damit gefahren.

Molvaers Musik machte dagegen in Tübingen einen durch und durch kalkulierten, sehr kühl durchkonstruierten Eindruck. Und sie war eklektizistisch, ohne daß in der Addition der verschiedenen, »geklauten«. Musik-Elemente irgendetwas aufregend Neues dabei herausgekommen wäre.

Die Band beschränkte sich weitgehend auf die Reproduktion ihrer Studioarbeit — und auf die Idee, »Dancefloor«-Rhythmen mit Trompete und Funk-Bässen zu verbinden, sind Joo Krauß und Helmut Hattler, die beiden Ulmer Groove-Cracks, schon vor Jahren gekommen. Mal ganz abgesehen davon, daß Krauß im Vergleich zu Molvaer auch noch der vermutlich bessere Techniker ist . . . Genug gemotzt, Schwamm drüber. (-mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...