Montag, 8. Oktober 2001

Jan Garbarek & Hilliard Ensemble: Schön kontemplativ

Zwei Künstler gibt's, die hier in der Region immer »gehen«, unabhängig von den Launen des Konzertvolks ein steter Glücksfall (weil »sichere Bänke«) für die jeweiligen Veranstalter sind: Der eine ist Giora Feidman, der andere Saxophonist Jan Garbarek.

Jetzt spielte der norwegische Mittfünfziger, der mit seiner Musik wie kaum ein anderer ganz wesentlich den Begriff des »Kammerjazz« erst hat aufkommen lassen, wieder in Tübingen, beim x-ten Gastspiel überhaupt und auch in Kombination mit dem britischen Vokalquartett »Hilliard Ensemble« nicht zum ersten Mal.

Und wieder standen die Fans schon eine Stunde vor Beginn des Konzerts in langer Schlange vor der Stiftskirche. Die war wie erwartet ausverkauft.

Zu hören gab's das zweite Programm der genreübergreifenden Zusammenarbeit, »Mnemosyne«. Mit der ersten, vom Grund-Thema her rein auf Alter Musik
basierenden    »Officium«-Produktion stürmten die Klassik-Sänger und der Jazz-Saxophonist vor sieben Jahren die Hitparaden, der Mix aus streng festgelegten jahrhundertealten Melodien und Improvisationen Garbareks schien zwingend.

Das - in der Studio-Version auch schon zweieinhalb Jahre alte - »Mnemosyne«Konzept setzt, auch jetzt wieder in Tübingen live, aufs einmal gefundene Erfolgsrezept. Aber mit erweiterter Thematik: Präsentierten das Hilliard Quartett und Garbarek bei »Officium« ausschließlich geistliche Werke des 12. bis 16. Jahrhunderts, reicht das Spektrum von »Mnemosyne« (benannt nach der Göttin der Erinnerung, der Tochter des Zeus und Mutter der Musen) von Volksliedfragmenten Nord- und Südamerikas oder Spaniens bis hin zu einem russischen Psalm, einer schottischen Ballade des 16. Jahrhunderts oder der Musik Hildegard von Bingens.

Die Besucher in der Stiftskirche gaben sich teils mit geschlossenen Augen dem perfekten (und perfekt schönen) Musikgenuss hin. Die Hilliard-Sänger nutzten den weiten Stiftskirchen-Raum, sorgten durch wechselnde Positionen für interessante akustische Abwechslung.
Garbarek machte wie immer über weite Strecken einen unnahbar-reservierten Eindruck, auch wenn er mal durch Getrampel für rhythmische Begleitung sorgte. Und er spielte wieder musikalisch gesehen effizient und zeitlich betrachtet wenig.

Aber wenn er spielte, erfüllte sofort jener eiskalt-klar scheinende Ton die Stiftskirche, den Garbareks zahllose Fans seit mehr als 20 Jahren als überwältigend poetisch und meditativ loben. Die Besucher nahmen die Töne des Meisters (wie schon öfter) fast in ehrfürchtiger Haltung auf - man traute sich, auch das kennt man von Garbarek-Konzerten, das Hüsteln nicht. Höchstens im Schutz des donnernd lauten Beifalls.
Autor: Martin Gerner

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