Montag, 15. Oktober 2001

Rainer Tempel & NDR Big Band: Geschichten aus einer anderen Zeit

Auch auf die Gefahr einer Wiederholung hin: Schier unglaublich, wie viel der Tübinger Pianist, Komponist, Arrangeur und Bandleader Rainer Tempel wie gut kann. Nicht nur, dass der für Jazz-Verhältnisse blutjunge Musiker ein ausgezeichneter und ebenso hochmusikalisch wie effizient spielender Pianist in einer Vielzahl von Projekten war und ist, nicht nur, dass er eine eigene (!) Bigband am Laufen hält, er schreibt auch mehr oder weniger die komplette Musik für dieses Ensemble und kleinere Formationen und arrangiert sie auch noch (am Klavier, nicht auf dem Computer).

Jetzt, zur Eröffnung des Mammutprogramms der »3. Tübinger Jazz- und Klassik-Tage«, hat Tempel mit »Tales From Other Times«, einer gut 50-minütigen Bigband-Suite, eine weitere »Meisterleistung« vorgelegt.

Ganz zu Anfang gab's Einführungsworte von Sven Gormsen, dem Chef des veranstaltenden Vereins, und der Tübinger Oberbürgermeisterin Dr. Brigitte Russ-Scherer, die wieder die Schirmherrschaft über die »Jazz- und Klassik-Tage« übernommen hatte.

In der zweiten Konzerthälfte spielte die weltweit renommierte Bigband des Norddeutschen Rundfunks im wesentlichen Stücke des Solotrompeters des Abends: Claus Stötter, jahrelanges Trompetenaushängeschild in Tübingen und jetzt reguläres
Mitglied der NDR Bigband, wurde zu Recht von den Besuchern im ausverkauften grossen LTT-Saal mit viel Beifall bedacht.

Der Knüller des Abends aber waren die »Geschichten aus einer anderen Zeit« — und Tempels wie immer witzige Anmoderationen sowieso. Das hat's noch nicht gegeben, dass ein Bigband-Leader als erstes bei einer Festival-Eröffnung stocktrocken meint: »Guten Abend, schön, dass so viele gekommen sind —was mich gleich dazu bringt, ob jemand eine Vier-Zimmer-Wohnung für meine Familie, zweieinhalb Meter Klavier und mich weiss...«

Da hatte Tempel schon (wieder) die ersten von vielen Lachern auf seiner Seite.
Und dann erzählte er - ohne Worte - »Tales From Other Times«. Mit dem Titel fangen wir nicht besonders viel an, aber die Musik war, in acht Teilen, ziemlich einzigartig: Tempel hat das komplette Dynamik- und Klangfarbenspektrum, das ihm eine Bigband bietet ausgenützt; da gab's tonal minimalistische Passagen in kleinster Besetzung ebenso wie volles Blech mit groovender Unterstützung der ausgezeichneten Schlagzeug- und Perkussionabteilung der Hamburger.

»Tales From Other Times« waren hochrhythmische Geschichten mit den für Tempel-Kompositionen typischen unerwarteten Wendungen, was Harmonik und Arrangements betrifft. Die Hamburger dürften die Suite des Tübingers schon alleine deswegen gerne gespielt haben, weil Tempel als Komponist so gut wie jeden ausführlich drankommen liess. Minutenlangen donnernden Applaus gab' für Tempel, Stötter und die 17 NDR-Musiker. (mpg)

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In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...