Um seinen Ruf hat sich Jazz-Altmeister Herbie Hancock noch nie groß geschert. Vor fast 20 Jahren, als er mit dem Avantgarde-Produzenten Bill Laswell und HipHop-Kumpanen der allerersten Stunde die Platte »Future Shock« veröffentlichte, waren die »richtigen« Jazzfans, die ihn als Pianomann mit Miles und Co. kennen gelernt haben, von dem trendigen Gebräu aus Electric Jazz und Dancefloor-Electrofunk enttäuscht.
Bei der damaligen interessierten Jugend machte sich Hancock mit dem »Zukunftsschock« zum Top-Star - und, das zeigt der Rückblick aus der Gegenwart, zum Trendsetter.
Jetzt hat der alte Hase das Erfolgskonzept wiederholt und für seine »Future 2 Future«-Plattenproduktion und die dazugehörige Konzerttournee, in deren Rahmen er vor rund 700 Zuschauern im Stuttgarter Theaterhaus gastierte, wieder tief in die elektronische Trickkiste gegriffen.
Herbie Hancock ist schon immer zwischen puristischer Flügel-Tonästhetik und wahren Synthesizer-Orgien hin-und hergewechselt, sowohl seine Platten wie auch seine Instrumente waren immer auf dem Stand der Technik: »Ich bin ein Spielzeugfreak, wenn's blinkt und viele Knöpfe hat, ist mir's gerade recht«, sagte der Amerikaner mal im Gespräch mit dem Berichterstatter von sich.
Auch bei der Produktion von »Future 2 Future« und jetzt im Theaterhaus war
Herbie nicht nur auf dem Stand der Technik, sondern produzierte - wie gesagt, man kennt's von ihm - einen wahren Elektronik-Overkill. Dass die Musik aus allen Richtungen aus den Boxen geschossen kam, war da nur ein kleines Detail - ältere Stuttgarter Jazzfans, die die allerneuesten Tanzboden-Trends natürlich nicht verfolgen, dürften auch jetzt bei der »Future 2 Future«-Tour einen akustischen »Zukunftsschock« erfahren haben.
Spieltechnisch hält sich der Meister in Stuttgart bei den neuen Titeln, die's neben ein paar Hits aus vergangenen Jahren hauptsächlich zu hören gibt, vergleichsweise eher zurück; die Noten-Cluster, die Hancock ja besonders mit seinen »Headhunters«-Formationen auf die Zuhörer regnen ließ, haben luftigeren Arrangements Platz gemacht.
Aber sonst ist alles beim Alten: Hancock hat wieder sehr genau bei den jungen Hiphop- und Dancefloor-Künstlern zugehört und kombiniert deren Stilistik und Musiksprache gut kopierend mit dem eigenen reichen Erfahrungsschatz, ein paar von Miles geklauten Takten und ein bisschen Soul als Sahnehäubchen obendrauf.
Zieht man die Sound-Mätzchen und die von anderen lediglich adaptierten Musikpassagen ab, muss man Substanz schon ein bisschen suchen. Aber vielleicht liegt der Altjazzer ja auch damit voll im Trend?
Autor: Martin Gerner
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