»Viva Santana« heißt ein auch schon wieder kräftig angestaubtes Plattenset, mit dem sich Carlos Santana vor Jahren vom aktiven Pop-Geschäft verabschieden wollte. Der heute 54-jährige amerikanische Gitarrist und Komponist mexikanischer Abstammung hat sich jedoch vor drei Jahren mit dem Platin-veredelten und mit Grammies überhäuften Album »Supernatural« eindrucksvoll zurück gemeldet.
Beeindruckend perfekt und musikalisch außerordentlich gelungen jetzt auch das Konzert Santanas in der seltsamerweise gerade mal zur Hälfte gefüllten Stuttgarter Schleyerhalle. Fast zweieinhalb Stunden lang zog der Musiker, der schon vor langer Zeit das Kunststück geschafft hat, gleichermaßen Popstar zu sein wie Liebling »ernsthafter« Rock- wie Jazzkritiker, routiniert (und wie stets hochfrequent Kaugummi kauend) alle Register seines Könnens.
Der knapp dreiviertelstündige Auftritt der US-Rocker Counting Crows vor Santana hat gepasst wie die Faust aufs Auge - in seiner dröhnenden 70er-Rock-Monotonie gar nicht.
Die hochpräzise und durchweg mit Stars besetzte Santana-Band bot nämlich den altersmäßig von 16 bis über 60 bunt gemischten Fans nicht nur das sprichwörtliche Hit-Feuerwerk in ebenso sprichwörtlicher CD-Qualität samt den 30 Jahre alten Klassikern »Jingo« und »Oye Como Va« vor seliger Zuhörerkulisse als Zugabe, sondern differenzierte, abwechslungsreiche und hochdynamische Lehrstückchen in Sachen Popularmusik reihenweise.
Mag sein, dass der Geist von Miles Davis, der Santana nach dessen eigener Aussage kürzlich begegnet sein soll, den Saiten-Meister und seine Mitmusiker zusätzlich beflügelt hat.
Als der Jazzer noch lebte, haben sie wirklich ein paar Mal zusammen gearbeitet, bei Santana sind seitdem immer wieder typische Miles-Ideen zu finden. Als Intro gab's die berühmte gehauchte »Martin«-Trompete jedenfalls zum leuchtend lila Licht vor überdimensionierten Batik-Tüchern - und Miles' langjähriger Bass-Mucker Benjamin Rietveld lehrte in Stuttgart bei einem fulminanten Bass-Solo die weltweite Konkurrenz das Fürchten.
Besonders herauszuheben ist auch (wieder einmal) Edel-Drummer Dennis Chambers, der bei diesem Santana-Konzert nicht nur als Solist brillierte, sondern stets groovend und mit der Präzision eines Metronoms als festes Rückgrat des komplexen Musik-Gebildes einen wirklich außerordentlich guten Job machte.
Die Band alleine wäre also für viele Lobeshymnen gut gewesen - Carlos Santana selbst dominierte aber alle mit seiner in Stuttgart wieder einmal enormen Bühnenpräsenz. Der Musiker wirkte gleichzeitig völlig entspannt und sehr bestimmt, sein Alter konnte man ihm selbst in Detail-Großaufnahmen auf den drei Video-Leinwänden nicht ansehen - und sein mittlerweile in die Pop-Geschichtsbücher eingegangener Gitarren-Ton ist legendär: Warm, voll und rund. Dass ein Gitarrist an ein, zwei Tönen zu erkennen ist, hat außer Santana im Pop-Bereich eigentlich nur B.B. King geschafft. Die Stuttgarter bekamen den orgiastischen, »singenden« typischen Santana-Sound satt. Und - das fand der Rezensent besonders erquicklich - neben den alten Superhits perfekt umgesetzte Songs aus der Gegenwart von »Supernatural«. »Put Your Lights On« oder »Maria, Maria« kamen besonders gut.
So richtig hoch schlugen die Wellen der Begeisterung bei diesem rundum gelungenen Latinpop-Familienfest aber bei den Klassikern. Schon klar.
Autor: Martin Gerner
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