Dienstag, 9. September 1997

Ingo Appelt: Respektlos, frech und zotig

»Es freut mich, hier in Reutlingen zu sein . . . am Arsch der Welt« — Ingo Appelt, der dritte im Bund der neu-deutschen Komiker-Stars beim »1. Reutlinger Comedy-Festival«, schenkte seinen Gästen am Sonntagabend nichts.

»Das Provokative ist heute eher ein Mittel des Kabaretts als das Aufklärerische«, meinte Appelt im Gespräch mit dem Berichterstatter — und er scheint mit dieser These richtig zu liegen: »Der Mittermaier hat gestern schon gemeint, die Reutlinger, die sind super, die lachen über jeden Scheiß«, flötet Appelt mit dem gut gespielten öligen Charme eines fliegenden Modeschmuck-Verkäufers. Und die vielleicht knapp 600 Gäste lachen da und bei anderen frechen Unverschämtheiten, die man durchaus mit obigem »Prädikat« versehen könnte — herzlich und laut . . .

Mancher und manchem war die mit zotigen Bemerkungen nur so gespickte Vorstellung vielleicht auch schon wieder zuviel: Es klingt schon derb, was Appelt beim Thema »Ehrenschutz für Soldaten« einfällt: Wörtlich: »Einen Bundeswehrsoldaten >Mörder< zu nennen — das wäre ja ungefähr so, wie wenn man zu einem Eunuchen >alter Wixer< sagen würde . . .«

Derb auch die Nummer, wo Appelt hinreißend echt parodierend Norbert Blüm einen »Minenwitz, och, Spass moss saiin« erzählen lässt und gleich danach fantastisch gut Udo Lindenberg mimt: »Hinterm Minenfeld geht's weiter« . . . Auch wenn's direkt ums Thema Politik geht, hat der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär ziemlichen Biß: »Die FDP . . . da muss man ja vorsichtig sein, das ist so eine Art Sekte: Die glauben an ihre eigene Existenz.«

Mögen die Meinungen, ob die Appeltschen Verbal-Attacken noch diesseits oder schon jenseits der berühmten »Grenze des guten Geschmacks« liegen, vielleicht auseinandergehen — als Nachahmer, da sind sich wahrscheinlich alle einig, ist Appelt eine Nummer für sich: Egal ob Scharping, Otto Graf Lambsdorff (»So . . . Sie sind also der Dalai Lama . . . freut mich, ich bin auch ein Lahmer«), Franz-Josef Strauss oder, besonders hinreissend, Paolo Conte und Herbert Grönemeyer: Appelt hat offensichtlich genau hingehört, mit Intelligenz die wesentlichen Merkmale herausgefiltert und karikiert sie gnadenlos überhöht. Diese Teile des »polnischen Programms . . . hihi, alles geklaut«, kommen bei den Festival-Gästen besonders gut an. (-mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...