Es geht um einen jungen Mann, aufgewachsen in der DDR als Sohn eines hohen und bekannten Parteibonzen. Viktor (so heißt er) entschließt sich, für eine Weile aus der Obhut seiner dominierenden Mutter in ein Erholungsheim zu fliehen.
"Neue Herrlichkeit" ist der Name des Etablissements und auch der Titel des Buches, aus dem etwa 60 Besucher in der Reutlinger Stadtbibliothek drei Kapitel hörten.
Günter de Bruyn, der Autor der »Neuen Herrlichkeit«, machte zuletzt mit Gedanken zur »Zensur« im anderen Deutschland (offiziell gibt es in der DDR keine Zensur) von sich reden; er spricht von »Druckgenehmigungspraxis«. Um die Arbeit als Schriftsteller in der DDR und um den dortigen Kulturbetrieb kreisten dann auch die Fragen der Zuhörer, seltsamerweise schien kaum einen das Buch (weswegen Bruyn doch eigentlich gekommen war) zu interessieren.
»Des Vaters Sohn« heißt so ein vorgelesenes Stück dieser Geschichte von Anpassung und Unfähigkeit zur Selbständigkeit. Viktor, der Sohn, definiert seine Persönlichkeit fast ausschließlich an seinen Eltern. Jetzt will er in der Abgeschiedenheit des Erholungsheims seine Doktorarbeit abschließen, wozu es wegen eines plötzlich auftretenden »jüngeren weiblichen Wesens« natürlich nicht kommt.
Dieses Mädchen, Tilde genannt, lebt bei ihrer Großmutter (»Tita«). Viktor versucht über die Oma an die Enkelin heranzukommen. Die alte Dame ist von dem neuen Besucher begeistert und führt Viktor — was von de Bruyn in einer herrlich humorvollen, ironisch-distanzierten Erzählweise beschrieben wird — eine umfangreiche Familienfoto-Sammlung (nebst dazugehörigen Geschichten, selbstverständlich!) vor. »Mensch ärgere dich nicht« lernt Viktor auch noch und führt mit Sebastian, dem Gärtner des Heims, Gespräche über eine »Ordnung, die zum Thema wird, weil sie gestört ist«.
Obwohl durch die Lesung der Eindruck entstehen könne, dass das Buch ein Heiteres sei, betont de Bruyn, dass die Geschichte sehr traurig ende. Kein Happy-End also, Viktor reist ohne Dissertation und ohne Tilde ab. »Ich interpretiere meine Bücher nicht« sagt der Autor, meint aber, dass die »Neue Herrlichkeit« ein Porträt eines »voll angepassten« Mannes sei, der sich nicht entscheiden kann, weil er das nie gelernt hat. (mpg)
500 von 5000
In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...
-
»Wer zum Teufel ist Axl Rose?« flachste ein bestens aufgelegter Wolfgang Niedecken, »wir haben Axel Büchel.« Widerspruch kam unter den rund ...
-
Eine Parodie des Clownseins, der Besuch einer Freundin, eine hinreißend komische Einrad-Nummer und noch einiges mehr bot der Clown Georgo Pe...
-
So ausdauernd waren die Tübinger Brasil-Fans schon lange nicht mehr: Bei der Afro-Brasil-Party war das »Foyer« selbst nachts um vier auf all...