Montag, 18. Januar 1988

Panzerknacker: Wo bleibt der Wassermann?

Sie sind schon ein dankbares Thema, die New-Age-Jünger. Die Lach- und Schießgesellschaft nimmt sich ihrer im neuen Programm an und die »Panzerknacker" aus Tübingen ebenso.    "Zimmer frei in WG" ist der Titel - und auch der Rahmen, natürlich - des knapp zweistündigen Kabarettprogramms, das Ute Schwämmle, Uwe Bittes und Otto Hemmer mit gekonnter musikalischer Unterstützung von Bernhard Mohl und Markus Meyer in der vollbesetzten Reutlinger »zelle« vorführten.
In der ländlichen Wohngemeinschaft ist ein Zimmer frei. Sandra ist »alternativ« und quirlig und hat vor allem eine große Klappe. Ihre beiden Mitbewohner könnten unterschiedlicher gar nicht sein: »Big Mac" nimmt per Computer Verbindung zu seinem Guru auf und zeichnet sich ansonsten durch unzusammenhängendes, aber ungemein durchgeistigtes Geschwätz aus.
Von seiner New-Age-Leiter aus überwacht er Karl (»destruktiver Fisch«), eine bierbäuchige, realistisch-zynische Type, die über allem steht und über alles motzt.
Diese drei nehmen jetzt also die potentiellen Interessenten für das Zimmer in Augenschein. Da gibt es den »duften Typen mit den starken Texten«, ein kleines Liedermacher-Licht, das wohl von seinen Liedern am meisten betroffen und gerührt ist.
Oder das »Beziehungskistenkrisengeschüttelte« Paar, das unabhängig voneinander einziehen will. »Ich wäre ganz arg dankbar, wenn ihr mich in eurer Gemeinschaft aufnähmt«, meint die »friedensbewegte Nichtraucherin«.
Bei dem »Panzerknacker«-Kabarett durften die Besucher herzlich über sich selbst lachen. Normalerweise sorgen ja immer »die anderen« für kabarettistisch-satirische Erheiterung; hier wurde dem Publikum einZerrspiegel vorgehalten, der dank genauer Beobachtung der Akteure (womöglich auch mit »eingebrachten« eigenen Erfahrungen) sehr scharf zeichnete.
Der mit allen Wassern gewaschene »ehemalige deutsche Toskana-Bauer mit selbstangebautem biologisch-dynamischem Rotwein« durfte da natürlich nicht fehlen; der Workshop »Selber atmen« (durchgeführt »von einem Freund von der Tina«) bringt hauptsächlich dem Bankkonto von Tinas Freund etwas.
Mit der Problematik des »neuen Zeitalters«, das die Künstler wohl ganz richtig als HeileWelt-Flucht verstehen, setzt sich das Programm der »Panzerknacker« allerdings nur bedingt auseinander. Vielmehr wurde in der »zelle« eine »Szene-Typologie« vorgeführt, über weite Strecken witzig, manchmal sogar zum Schreien komisch, immer genau beobachtet.
Störend nur jener (wohl betrunkene) iranische Gast, der die Bühne erklomm und sich fast zehn Minuten lang weigerte, sein Forum zu verlassen. Die bitteren Anklagen in der Pause gegen die Machthaber in seinem Land dürften jedoch auch Wassermänner und -frauen in die Realität zurückgeholt haben. (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...