Dienstag, 9. Februar 1988

Barbara Dennerlein: Die Frau und das Fossil

Sie ist gerade 23 Jahre alt und hat schon mit allen möglichen nationalen und internationalen Jazzgrößen zusammengespielt. Jimmy Smith, der Meister der Jazzorgel schlechthin, bestaunte ungläubig ihre Spieltechnik. Sie hat ein eigenes Schallplattenlabel und veröffentlichte bis jetzt vier Platten, von denen »Bebap« 1985 den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhielt. In einem alten Kombi reist sie durch das Land; zum Ausladen ihres Instruments braucht sie muskulöse Hilfe.
Barbara Dennerlein aus München spielt Orgel, Hammond-Orgel, um genau zu sein.
Ein bisschen verrückt muß die Künstlerin schon sein, sich ausgerechnet dieses Instrument auszusuchen: Schwer, groß, alt; mit einem Klang, der im Zeitalter der computererzeugten Synthesizer-Glockensounds und der aseptischen Digitaltechnik schon fast archaisch anmutet.
Barbara Dennerlein kam mit Unterstützung in den Jazzclub »in der Mitte«: Andreas Witte am Schlagzeug ist ein ebenbürtiger Partner, dessen differenzierte Spielweise hervorragend mit den Orgeltönen harmonierte. Nur vom Klang her betrachtet war es dennoch ein Trio auf der winzigen Bühne. Der Baß kam nämlich aus dem Sampler (das ist ein elektronischer Klangspeicher, der exakte Reproduktion von beliebigen Klängen ermöglicht); angesteuert wurde dieser Musikcomputer mit dem Pedal, das Barbara Dennerlein mit einer fantastischen Spieltechnik bearbeitete.

Zusammen mit einem modernen Synthesizer ergaben sich teilweise verblüffende Klangkombinationen, die zu schaffen schon für sich gesehen ein Verdienst ist. Der in den oberen Tonlagen quäkende, zu den Bässen immer mehr blubbernde Klang des elektromechanischen Ungetüms ist nämlich verglichen mit den heutigen Möglichkeiten — nicht gerade besonders variabel.
Das Repertoire am Samstagabend bestand größtenteils aus Standards, ab und zu waren auch Eigenkompositionen der Organistin eingestreut. Stücke wie »Night in Tunisia«, »How high the moon«, »Georgia an my mind« oder »Scrapple from the Apple« sind weit über eingefleischte Jazzkreise hinaus bekannt; besonders reizvoll war manchmal die so ganz andere Instrumentierung — Orgel eben — als die des Originals.
Die überaus zierliche Barbara Dennerlein fegte manchmal wie ein Wirbelwind über die Manuale, um gleich darauf elegant-unterkühlten Latin-Jazz zu Gehör zu bringen. Ein spektakuläres Konzert, für viele der zahlreich erschienenen Besucher sicher auch das erstemal, ein Instrument aus der Frühzeit der elektrischen Tonerzeugung zu erleben; wenn diese Orgel dann auch noch von einer Meisterin wie Barbara Dennerlein gespielt wird, ist der Ohrenschmaus perfekt.  (mpg)

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...