Noch immer das hölzern pedantische Volk, noch immer ein rechter Winkel in jeder Bewegung, und im Gesicht der eingefrorene Dünkel.
Vor 144 Jahren erstmalig gedruckt, haben diese Zeilen Heinrich Heines nichts an Aktualität und Treffgenauigkeit verloren. »Deutschland — ein Wintermärchen«, ein teils sehr realistisches, teils phantastisch-symbolisches Werk in 27 Kapiteln, ist die Geschichte einer Winterreise durch Deutschland.
Anlass war Heines Reise aus dem Pariser Exil nach Hamburg im Jahr 1843. Neben scharfer politischer Satire finden sich Heimweh und bittere Liebe nach und zu einem Land, das der Dichter schon 13 Jahre vor der Entstehung des »Wintermärchens« verlassen musste.
»Was ich aber mit noch größerem Leidwesen voraussehe, das ist das Zeter jener Pharisäer der Nationalität, die jetzt mit den Antipathien der Regierungen Hand in Hand gehen. auch die volle Liebe und Hochachtung der Zensur genießen und in der Tagespresse den Ton angeben können, wo es gilt, jene Gegner zu befehden, die auch zugleich Gegner ihrer allerhöchsten Herrschaften sind« — man braucht nur die Ereignisse des letzten Jahres (natürlich nicht nur die !), den rapiden Verfall der politischen (und der anderen) Kultur oder diverse Femseh-Eiferer — den Abgedankten folgen neue — Revue passieren lassen, um zu verstehen, warum Heinrich Heines Werke an deutschen Schulen immer noch weitgehend totgeschwiegen werden.
Verständlich auch, warum Rolf Berg das »Wintermärchen« unter der Regie von Lutz Görner auf die Bühne bringt. Der junge Schauspieler — der eine oder andere der jeweils 25 (!) Tonne-Besucher am Dienstag und Mittwoch kennt ihn vielleicht noch als Ensemblemitglied des LTT — trägt die Reisebilder mit sparsamsten Mitteln leicht gekürzt vor.
Die Rezitation Bergs ist eine hervorragende Interpretationshilfe, die beim Zuhören (auch) einen Riesenspaß macht — die vielschichtige Schönheit der Lyrik, das Satirisch-Ironische, aber auch der bittere Galgenhumor und die oft durchscheinende tiefe Verzweiflung des Autors werden auf ungemein spannende und unterhaltende Weise verdeutlicht; bildhafter, als es das Lesen im stillen Kämmerlein je könnte.
Durch Berg wird schlagartig klar, wie wenig angestaubt das »Wintermärchen« ist, wie viel Heine auch noch heute zu sagen hat. Man muß halt nur zuhören wollen.
Autor: Martin Gerner
Erstabdruck/Erstveröffentlichung: Reutlinger General-Anzeiger, 26. Februar 1988
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