Samstag, 9. April 1988

Frank Zappa: Genialer Lüstling

Für die einen ist er schlicht pervers, andere Rockfans halten ihn für ein Genie — kalt läßt der mittlerweile 48jährige Francis Vincent Zappa jr. II. wohl kaum jemanden. Fest steht jedenfalls, daß Zappa die schillerndste und faszinierendste Persönlichkeit des Rockbusiness ist — und das seit mittlerweile 23 Jahren.
Der Sohn eines griechisch-arabisch-sizilianischen Chemikers lernte um 1950 Don van Vliet (Captain Beefheart) kennen, mit dem er auch erste musikalische Gehversuche unternahm. Rock'n'Roll war Zappa suspekt, er kaufte sich lieber Rhythm & Blues-Platten.
Mit 18 Jahren beschäftigte er sich mit Musiktheorie und absolvierte etwas später Kurse in Kompositions- und Harmonie-Lehre — der Einfluß der zeitgenössischen modernen E-Musik ist zweifellos wichtiger als jener der U-Musik. 1964 erarbeitete Zappa im eigenen Studio, das er sich vom Honorar für eine Western-Filmmusik eingerichtet hatte, das Konzept einer Gruppe: Die »Mothers of Invention«, die »Mütter der Erfindung«, war geboren.
»Freak out«, so der Titel der ersten »Mothers«-Platte, kam 1966 heraus und begründete Zappas Ruf als »anarchistischer Zerstörer amerikanischer Middleclass-Mythen«. Zu einer Zeit, als die meisten Gruppen, seien es englische oder amerikanische, sich in eher trivialen musikalischen Gefilden bewegten und die Songtexte selten über das HerzSchmerz-Schema hinausgingen, sang Zappa von »hungrigen Verrückten«, von Gehirnpolizisten und »Mutterliebe«.

Obwohl die Platte von sämtlichen Rundfunkanstalten der USA wegen ihrer ungebührlichen Texte boykottiert wurde, verkaufte sich das Album in einer Auflage von über einer Viertelmillion Exemplaren. Mit »Freak out« und weiteren, ähnlich avantgardistischen Platten wurde Zappa schon bald zu d e r Underground-Kultfigur. Herausragende Produktionen seines »Frühwerks«, das 22 Platten umfaßt, sind etwa »We're only in it for the money« mit dem Parodie-Cover auf das »Sgt. Peppers«-Album der Beatles, »Hot Rats« mit prominenten Jazzern wie Sugarcane Harris und Jean Luc Ponty aufgenommen, oder »The Grand Wazoo«, die vielen Kritikern als einer der besten Jazzrockplatten überhaupt erschien.
Der große Erfolg blieb Zappa eigentlich immer versagt, mit Ausnahme des »Sheik-Yerbouti«-Albums, das viele noch wegen des Super-Hits »Bohby Brown« kennen. Die an seiner künstlerischen Kompetenz gemessenen kommerzielle Erfolglosigkeit (Zappa hat dennoch sicher nie gehungert) liegt außer in den komplizierten musikalischen Strukturen in den Songtexten begründet: Kein anderer Musiker ist dermaßen sexuallastig, keiner geht so weit wie er: »Na und? Ist das kein Thema, das die Leute mehr als alles andere beschäftigt? Macht's nicht am meisten Spaß? Ich scheue mich nicht davor, dieses Thema in den Mund zu nehmen. Ich mache es gern und ich mache es gut.«
Aber auch die zynischen, sozialkritischen Texte (»I'm the slime«) schockten puritanische Kleinbürger. Warum findet sich keine Gesellschaftskritik mehr in heutigen Texten, Mr. Zappa? »Ich brauche die Texte nicht zu wiederholen. Es stimmt alles noch. Was hat sich seitdem verändert?«
Heute schreibt Frank Zappa auf die Innenhüllen seiner Platten: »In einigen sozial zurückgebliebenen Gegenden haben religiöse Fanatiker und ultrakonservative Politiker unsere Grundrechte verletzt, weil sie Rock'n'Roll-Platten zensieren wollten. Wir halten das für unamerikanisch und verfassungswidrig.«
Jetzt hat der musikalische Zehnkämpfer Zappa, durch dessen Studios unzählige Cracks der Szene (Ray. White, J.G. Watson, Terry und Dale Bozzio, die Brecker-Brüder, George Duke oder Steve Vai und und und . . .) gegangen sind, seine Gitarre beiseite gelegt.
Auf seinen letzten Platten ist als Hauptinstrument der Musikcomputer zu hören, weil Zappa damit Dinge realisieren kann, die kein Musiker spieltechnisch bewältigen würde. Außerdem frönt der Familienvater (Sohn Dweezil legte vor kurzem eine beachtliche Produktion vor) seiner Liebe zur »ernsten Muse «: »Zappa with the London Symphony Orchestra II« setzt den mit dem ersten Streicher-Album begonnenen Zweig des Multitalents fort. Damit nicht genug: Workoholic Zappa, der nach eigener Aussage 16 bis 18 Stunden am Tag im Studio sitzt, beglückt seine treuen Fans in Europa jetzt mit einer Tournee, die ihn am 24. Mai auch nach Stuttgart führt.

500 von 5000

In diesem Blog habe ich 500 von rund 5000 Artikeln und Kritiken archiviert, die ich zwischen 1984 und 2012 in verschiedenen Tageszeitungen v...